09 - Denn sie betrügt man nicht
kein natürlicher Tod, und da erwarten Sie von uns, Ihnen zu glauben, daß Sie nicht wissen, wie er umgekommen ist?«
Ohne auf Muhannads Einwurf einzugehen, berichtete Emily Taymullah Azhar, daß gegenwärtig zur weiteren Klärung des Falles ein Team von Beamten unterwegs sei, um die Anwohner und Anwohnerinnen am Nez zu befragen, ob sie in der Nacht von Haytham Querashis Tod etwas gesehen oder gehört hätten. Am Tatort selbst habe man alle erforderlichen Maßnahmen durchgeführt, man habe die Kleidung ins Labor gebracht, der Leiche würden zur mikroskopischen Untersuchung Gewebeproben entnommen werden, Blut- und Urinproben würden dem Toxikologen übergeben werden, Hintergrundinformationen - »Sie hält uns doch nur hin, Azhar.«
Emily mußte Muhannads Scharfblick anerkennen. Er war beinahe so wach wie sein Vetter.
»Wir sollen nicht erfahren, was passiert ist. Weil wir dann nämlich wieder auf die Straße gehen, und diesmal werden wir uns nicht zurückziehen, bevor wir alle Antworten haben und mit einem gerechten Verfahren rechnen können. Aber genau das wollen Sie natürlich gerade zu Anfang der Touristensaison überhaupt nicht.«
Azhar hob eine Hand, um Muhannad zum Schweigen zu bringen. »Wie steht es mit Fotografien?« fragte er Emily ruhig. »Sie haben doch welche gemacht.«
»Das geschieht immer zuerst. Der gesamte Tatort wird fotografiert, nicht nur die Leiche.«
»Können wir die Aufnahmen sehen?«
»Leider nicht.«
»Warum nicht?«
»Da wir zu der Überzeugung gelangt sind, daß es sich um Mord handelt, können Bestandteile der amtlichen Ermittlung der Öffentlichkeit nicht bekanntgemacht werden. Das ist einfach so.«
»Und trotzdem bekommen die Medien bei ähnlichen Ermittlungen häufig Wind von gerade solchen Informationen«, entgegnete Azhar.
»Das mag sein«, erwiderte Emily, »aber nicht durch den leitenden Beamten.«
Azhar sah sie nachdenklich an. Er hatte große, intelligente braune Augen. Wenn es im Zimmer nicht sowieso schon unerträglich heiß gewesen wäre, wäre Emily unter diesem forschenden Blick errötet, das wußte sie. So aber rettete sie die Hitze. Jeder im Haus -ausgenommen die Asiaten - lief mit hochrotem Kopf herum, ihre eigene Gesichtsfarbe verriet also nichts.
»Wie werden die Ermittlungen nun weitergeführt?« fragte er schließlich.
»Wir warten zunächst einmal alle Berichte ab. Und jeder, der mit Mr. Querashi bekannt war, steht für uns unter Verdacht. Wir werden zuerst die vernehmen -«
»Die eine braune Haut haben«, unterbrach Muhannad.
»Das habe ich nicht gesagt, Mr. Malik.«
»Das war gar nicht nötig, Inspector.« Er sprach ihren Titel mit so höflicher Betonung aus, daß man es nur als spöttische Geringschätzung verstehen konnte. »Sie haben nicht die geringste Absicht, Ihre Ermittlungen in die weiße Gemeinde hineinzutragen. Wenn es nach Ihnen ginge, würden Sie sich wahrscheinlich überhaupt nicht die Mühe machen, diesen Todesfall als Mord zu behandeln. Versuchen Sie nicht, das zu bestreiten. Ich habe einige Erfahrung damit, wie die Polizei mit Verbrechen umgeht, die gegen Menschen meiner Rasse begangen werden.«
Emily ließ sich auch von dieser herausfordernden Bemerkung nicht reizen, und Taymullah Azhar verhielt sich so, als habe er die Worte seines Vetters gar nicht gehört. Er sagte nur: »Könnte ich wenigstens die Fotografien des Toten sehen, da ich Mr. Querashi zu Lebzeiten nicht gekannt habe? Es würde meine Familie beruhigen zu erfahren, daß die Polizei uns nichts vorenthält.«
»Tut mir leid«, erwiderte Emily nur.
Muhannad schüttelte den Kopf, als hätte er diese Antwort von Anfang an erwartet. Er sagte zu seinem Vetter: »Komm, verschwinden wir hier. Wir verschwenden nur unsere Zeit.«
»Vielleicht nicht.«
»Komm schon. Es ist doch alles Quatsch. Sie ist nicht bereit, uns zu helfen.«
Azhar machte ein nachdenkliches Gesicht. »Sind Sie bereit, uns entgegenzukommen, Inspector?«
»In welcher Weise?« Emily war sofort auf der Hut.
»Durch einen Kompromiß.«
»Was? Kompromiß?« rief Muhannad. »Nein. Kommt nicht in Frage, Azhar. Wenn wir uns auf Kompromisse einlassen, werden wir am Ende nur zusehen, wie der ganze Fall unter den Teppich gekehrt -«
»Muhannad.« Azhar sah ihn an. Es war das erste Mal, daß er überhaupt den Blick auf ihn richtete. »Inspector?« sagte er, sich wieder Emily zuwendend.
»Bei einer polizeilichen Untersuchung kann es keine Kompromisse geben, Mr. Azhar. Ich verstehe daher Ihren Vorschlag
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