09 - Denn sie betrügt man nicht
nicht viel größer als ihr Daumen, der andere winzig, fingernagelgroß. Dieser zweite mußte der Schlüssel zu dem Lederkästchen auf der Kommode sein. Sie schloß ihre Finger um beide Schlüssel und bedachte ihren nächsten Schritt. Sie wollte gern nachsehen, was das Kästchen enthielt, wollte dazu jedoch allein sein. Also mußte sie zuerst einmal ihren bärtigen Sherlock loswerden.
Sie überlegte, wie sie das am besten bewerkstelligen könnte, ohne sich das Wohlwollen des Mannes zu verscherzen. Er wäre bestimmt nicht begeistert, wenn ihm dämmerte, daß er als einer, der das Opfer gekannt hatte, im Mordfall Querashi zu den Verdächtigen gehörte, solange ihn nicht ein Alibi oder andere Zeugnisse entlasteten.
»Mr. Treves«, sagte sie, »diese Schlüssel scheinen mir von höchster Wichtigkeit für unsere Ermittlungen zu sein. Wären Sie so nett und würden draußen auf dem Korridor Wache halten? Lauscher oder Spitzel können wir gerade jetzt am allerwenigsten gebrauchen. Geben Sie mir Bescheid, wenn die Luft rein ist.«
»Natürlich, natürlich, Sergeant«, sagte er. »Mit Vergnügen!«
Und schon eilte er davon, um seinen Auftrag auszuführen.
Nachdem er ihr brav grünes Licht gegeben hatte, sah sie sich die Schlüssel genauer an. Sie waren beide aus Messing, der größere an einer Kette befestigt, an der außerdem ein kleines Metallschild hing. Es trug die Zahl 104. Ein Schließfach? In einem Bahnhof? In einem Busbahnhof? Oder gehörte der Schlüssel vielleicht zu einem dieser Metallspinde am Strand, in denen die Leute ihre Kleider unterbrachten, während sie im Meer badeten? Es waren alles Möglichkeiten.
Den zweiten Schlüssel schob sie ins Schloß des kleinen Lederkästchens. Er drehte sich reibungslos. Sie schob das Schnappschloß des Kästchens nach rechts und öffnete seinen Deckel.
»Haben Sie schon was Brauchbares gefunden?« flüsterte Treves von der Tür her in 007-Manier. »Hier ist immer noch alles klar, Sergeant.«
»Bleiben Sie auf dem Posten, Mr. Treves«, flüsterte sie zurück.
»In Ordnung«, murmelte er. Sie merkte ihm an, daß er im Begriff war, richtig in seine Verschwörerrolle hineinzuwachsen.
»Ich verlasse mich auf Sie«, sagte sie, die Worte zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorzischend, da sie hoffte, daß dies das Spannungsmoment, das anscheinend nötig war, um ihn bei der Stange zu halten, noch verstärken würde. »Wenn sich irgendwas rührt ... Ganz egal, was, Mr. Treves -«
»Selbstverständlich«, versicherte er. »Machen Sie ruhig weiter, Sergeant Havers.«
Sie lächelte. So ein Kauz, dachte sie. Sie schob die Schlüssel in den Plastikbeutel. Dann wandte sie sich dem Kästchen zu.
Sein Inhalt zeigte sich wohlgeordnet: ein Paar goldene Manschettenknöpfe, eine goldene Geldklammer mit einer Gravur in arabischer Schrift, ein kleiner goldener Ring - vielleicht für eine Frau gedacht - mit einem Rubin, eine Goldmünze, vier goldene Armreifen, ein Scheckbuch und ein gelber Zettel, der einmal gefaltet war. Barbara hielt inne, um über Querashis Vorliebe für Gold nachzudenken und zu überlegen, was, wenn überhaupt, eine solche Vorliebe bedeuten konnte und in welchem Zusammenhang sie eventuell mit dem stehen könnte, was dem Mann zugestoßen war. Habgier? dachte sie. Erpressung? Kleptomanie? Weise Voraussicht? Besessenheit? Was?
Das Scheckbuch war von einer örtlichen Filiale der Barclay's Bank. Auf der linken Seite war es mit Quittungsabschnitten für die einzelnen Schecks versehen. Nur einer war ausgeschrieben und auf dem Quittungsabschnitt eingetragen worden, vierhundert Pfund an einen F. Kumhar. Barbara sah sich das Datum an und rechnete nach: drei Wochen vor Querashis Tod.
Sie schob das Scheckbuch in einen Plastikbeutel und nahm den gefalteten gelben Zettel. Der entpuppte sich als Quittung von einem Geschäft am Ort mit dem Namen Racon - künstlerischer Schmuck. Darunter stand in Kursivschrift: Erstes Haus am Ort. Zunächst glaubte Barbara, die Quittung gehöre zu dem kleinen Rubinring.
Vielleicht ein Schmuckstück, das Querashi seiner zukünftigen Braut gekauft hatte. Dann aber sah sie, daß die Quittung nicht auf Querashi ausgestellt war, sondern auf Sahlah Malik.
Aus der Quittung ging nicht hervor, was gekauft worden war. Der Gegenstand war nur durch zwei Buchstaben und eine Nummer gekennzeichnet: AK-162. Daneben stand in Anführungszeichen geschrieben: »Das Leben beginnt jetzt«. Unten war der Preis angegeben, den Sahlah Malik bezahlt hatte:
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