09 - Denn sie betrügt man nicht
zweihundertzwanzig Pfund.
Interessant, dachte Barbara. Sie fragte sich, wie Querashi in den Besitz dieser Quittung gekommen war, die offensichtlich einen Kauf seiner Verlobten betraf. Die Worte »Das Leben beginnt jetzt« hatten wahrscheinlich in das Schmuckstück eingraviert werden sollen. Ein Ehering vielleicht? Das war die naheliegendste Vermutung. Aber trugen pakistanische Ehemänner überhaupt Trauringe? Bei Taymullah Azhar hatte Barbara nie einen gesehen, aber das hatte nicht viel zu bedeuten; auch die verheirateten Männer ihres eigenen Kulturkreises trugen ja nicht alle Trauringe. Aber ganz gleich, wofür die Quittung ausgestellt war, die Tatsache, daß Querashi sie in seinem Besitz gehabt hatte, ließ darauf schließen, daß er vorgehabt hatte, das Schmuckstück, das Sahlah gekauft hatte, zurückzugeben. Und die Rückgabe eines Geschenks, das dem Empfänger mit den hoffnungsfrohen und vertrauensvollen Worten »Das Leben beginnt jetzt« gewidmet wurde, konnte eigentlich nur bedeuten, daß die Hochzeitspläne gescheitert waren.
Barbara sah zum Nachttisch hinüber, dessen Schublade immer noch offenstand. Sie sah die angebrochene Schachtel Kondome und erinnerte sich, daß man in den Taschen des Toten drei weitere Kondome gefunden hatte. In Verbindung mit der Quittung aus dem Schmuckgeschäft ließ das wohl nur einen Schluß zu.
Nicht nur waren die Heiratspläne ernstlich gefährdet gewesen, es hatte höchstwahrscheinlich noch eine dritte Person gegeben, die Querashi möglicherweise angestachelt hatte, die geplante Eheschließung zugunsten einer anderen Beziehung aufzugeben. Und dies war erst vor kurzem geschehen, da sich in seinem Besitz noch die Beweise dafür befanden, daß er eine Hochzeitsreise geplant hatte.
Barbara legte die Quittung zu den anderen Gegenständen, die sie an sich genommen hatte. Sie sperrte das Lederkästchen ab und verstaute es ebenfalls in einem Plastikbeutel. Sie fragte sich, welche Reaktionen es bei einer Heiratsabsprache zwischen zwei Familien auslösen würde, wenn der Bräutigam plötzlich darum bat, alle Vorbereitungen einzustellen. Würde es Ärger geben? Würden Rachepläne geschmiedet werden? Sie hatte keine Ahnung. Aber sie wußte, wie sie es herausfinden konnte.
»Sergeant Havers?« Es war weniger ein Flüstern als ein Zischen: 007 begann ungeduldig zu werden.
Barbara ging zur Tür und öffnete sie. Sie trat in den Korridor und nahm Treves beim Arm. »Wir haben vielleicht eine Spur«, sagte sie kurz.
»Wirklich?« Sofort war er in heller Aufregung.
»Absolut. Führen Sie Buch über telefonische Anrufe? Ja? Wunderbar. Ich möchte diese Aufzeichnungen gern haben«, sagte sie. »Mich interessiert jeder Anruf, den er gemacht hat, und jeder Anruf, den er bekommen hat.«
»Heute abend noch?« Treves leckte sich voll Eifer die Lippen. Wenn es nach ihm ging, erkannte Barbara, würden sie bis zum Morgengrauen in Papieren herumwühlen.
»Morgen reicht auch noch«, erwiderte sie. »Jetzt schlafen wir erst einmal. Damit wir morgen frisch sind.«
»Gott sei Dank«, flüsterte er aufgeregt, »daß ich niemanden in das Zimmer gelassen habe.«
»Halten Sie es weiter so, Mr. Treves«, sagte sie. »Schließen Sie die Tür ab. Stehen Sie Wache, wenn es sein muß. Engagieren Sie einen Wächter. Stellen Sie eine Videokamera auf. Aber lassen Sie um Gottes willen niemanden in dieses Zimmer. Ich verlasse mich auf Sie. Kann ich das?«
»Sergeant«, versicherte Treves, die Hand auf dem Herzen, »Sie können sich hundertprozentig auf mich verlassen.«
»Großartig«, sagte Barbara.
6
Die Morgensonne weckte sie. Sie wurde begleitet vom Geschrei der Möwen und dem feinen Salzgeruch in der Luft. Diese war, wie am Vortag, völlig unbewegt. Barbara sah es, als sie vom Bett aus zum offenen Fenster hinausblinzelte. Draußen stand ein Lorbeerbaum, an dem nicht ein staubiges Blättchen auch nur leise bebte. Bis zum Mittag würde das Quecksilber in sämtlichen Thermometern der Stadt kochen.
Barbara drückte sich die Fäuste ins Kreuz, da es nach einer Nacht auf einer Matratze, die von mehreren Gästegenerationen durchgelegen worden war, unangenehm schmerzte. Sie schwang die Beine aus dem Bett und wankte schlaftrunken in ihre Toilette mit Aussicht.
Auch im Badezimmer begegnete sie den Zeichen vornehmen Verfalls, dem das Hotel sich ergeben hatte: Auf den Wandkacheln und dem Kitt rund um die Badewanne sprießten kleine Schimmelbüschel, und die Türen des Schränkchens unter dem Waschbecken wurden
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