09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)
Reets hinter ihm heruntergerutscht waren. Die Vorstellung machte ihm Angst. Wenn Hodor auf der schmalen Brücke ausrutschte, würden sie fallen und fallen und fallen.
»Nein, Junge«, sagte das Kind. »Hinter dir.« Sie hob ihre Fackel höher, und das Licht schien sich zu verändern. Erst brannte die Flamme orange und gelb und tauchte den Raum in rötlichen Schein; dann verschwanden die Farben, und es blieben nur Schwarz und Weiß zurück. Hinter ihnen stockte Meera hörbar der Atem. Hodor drehte sich um.
Vor ihnen saß ein bleicher Lord in einem Prachtgewand schwarz wie Ebenholz und träumte, eingeflochten in einem Wurzelgewirr auf einem Wehrholzthron, der seine verwelkten Glieder umarmte wie eine Mutter ihr Kind.
Sein Körper war so knochig und seine Kleidung so verfallen, dass Bran ihn im ersten Augenblick für eine weitere Leiche hielt, einen toten Mann, der dort schon so lange saß, dass die Wurzeln überall um ihn herum-, unter ihm hindurch- und in ihn hineingewachsen waren. Das, was man von der Haut des Leichenlords sehen konnte, war weiß, von einem blutigen Fleck abgesehen, der sich über den Hals hinauf bis auf seine Wange erstreckte. Sein weißes Haar war fein, so dünn wie Wurzelhaar und hing hinunter bis zum irdenen Boden. Wurzeln wanden sich um seine Beine wie Schlangen aus Holz. Eine grub sich durch seine Hose in das ausgetrocknete Fleisch seines Schenkels und kam an der Schulter wieder heraus. Ein Schopf aus dunkelroten Blättern spross aus seinem Schädel, und graue Pilze bedeckten seine Stirn. Ein wenig Haut war geblieben und zog sich über das Gesicht, stramm und hart wie weißes Leder, doch selbst sie begann nachzulassen, und hier und da hatten sich braune und gelbe Knochen durchgedrückt.
»Seid Ihr die dreiäugige Krähe?«, hörte sich Bran fragen. Eine dreiäugige Krähe sollte drei Augen haben. Er hat nur eins, und das ist rot. Bran spürte, wie ihn dieses Auge anstarrte. Es glänzte wie eine Blutlache im Fackelschein. Wo das andere Auge hätte sein sollen, wuchs eine dünne weiße Wurzel aus der leeren Augenhöhle die Wange hinunter und in den Hals.
»Eine … Krähe?« Die Stimme des bleichen Lords klang trocken. Seine Lippen bewegten sich langsam, als habe er vergessen, wie man Worte formte. »Einstmals, ja. Schwarzes Gewand und schwarzes Blut.« Die Gewänder, die er trug, waren zerfallen und ausgeblichen, mit Moos überzogen und von Würmern zerfressen, aber ursprünglich waren sie schwarz gewesen. »Ich war schon vieles, Bran. Jetzt bin ich so, wie du mich siehst, und nun verstehst du, warum ich nicht zu dir kommen konnte … außer in Träumen. Ich habe dich seit langer Zeit beobachtet, habe dich mit tausend und einem Auge beobachtet. Ich habe deine Geburt gesehen, und die deines Hohen Vaters vor dir. Ich habe deinen ersten Schritt gesehen, habe dein erstes Wort gehört, war Teil deines ersten Traums. Ich habe dich gesehen, als du gestürzt bist. Und jetzt bist du endlich zu mir gekommen, Brandon Stark, wenn auch fast zu spät.«
»Ich bin hier«, sagte Bran, »aber ich bin verkrüppelt. Werdet Ihr … werdet Ihr mich heilen … meine Beine, meine ich?«
»Nein«, sagte der bleiche Lord. »Das übersteigt meine Macht.«
Brans Augen füllten sich mit Tränen. Wir haben einen so weiten Weg hinter uns. In der Kammer hallte das Rauschen des schwarzen Flusses wider.
»Du wirst nie wieder gehen können, Bran«, versprachen die bleichen Lippen, »aber du wirst fliegen.«
TYRION
Eine Weile lang bewegte er sich nicht, sondern lag reglos auf einem Haufen alter Säcke, die ihm als Bett dienten, und lauschte dem Wind in den Leinen und dem Fluss, der plätschernd an den Rumpf schlug.
Der Vollmond hing über dem Mast. Er folgt mir den Fluss hinab und beobachtet mich wie ein großes Auge. Obwohl die muffigen Felle gut wärmten, durchfuhr den kleinen Mann ein Schauder. Ich brauche einen Becher Wein. Ein Dutzend Becher Wein. Aber eher würde der Mond blinzeln, als dass dieser Hurensohn Greif ihn seinen Durst stillen ließe. Also trank er Wasser und war zu schlaflosen Nächten verdammt, und musste die Tage schwitzend und zitternd überstehen.
Der Zwerg setzte sich auf und hielt sich den Kopf. Habe ich geträumt? Er erinnerte sich nicht. Die Nacht hatte es noch nie gut mit Tyrion Lannister gemeint. Selbst in weichen Federbetten hatte er stets schlecht geschlafen. Auf der Scheue Maid hatte er sein Lager auf dem Kabinendach aufgeschlagen, und ein Knäuel Hanfseil diente ihm als Kissen. Hier
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