09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)
verspürte einen Stich. Sie suchen hier Zuflucht, in einer Stadt, die bislang von den Kämpfen verschont geblieben ist, und ich komme hierher, um sie wieder in den Krieg hineinzuzerren. Er biss von dem Apfel ab und fühlte sich auch deshalb schuldig. »Was essen sie denn?«
Der Apfelverkäufer zuckte mit den Schultern. »Manche betteln. Manche stehlen. Viele junge Mädchen versuchen sich zu verkaufen, wie das halt so ist, wenn sie nichts anderes anzubieten haben. Jeder Junge, der größer als anderthalb Meter ist, kann Arbeit in den Baracken seiner Lordschaft finden, wenn er in der Lage ist, einen Speer zu halten.«
Er hebt also Männer aus. Das könnte gut sein … Oder auch schlecht, je nachdem. Der Apfel war trocken und mehlig, aber Davos biss noch einmal davon ab. »Will sich Lord Wyman dem Bastard anschließen?«
»Nun«, sagte der Apfelverkäufer, »wenn Seine Lordschaft das nächste Mal vorbeikommt und sich einen Apfel kauft, werde ich ihn bestimmt fragen.«
»Ich habe gehört, seine Tochter sei mit einem Frey verheiratet.«
»Seine Enkelin. Das habe ich auch gehört, aber Seine Lordschaft hat mich leider nicht zu der Hochzeit eingeladen. Esst Ihr den Apfel noch auf? Ich nehme den Rest zurück, die Samen sind gut.«
Davos warf ihm das Kerngehäuse zu. Ein schlechter Apfel, aber es war den halben Heller wert zu erfahren, dass Manderly Truppen aushebt. Er ging um den Alten Fischfuß herum, an einem jungen Mädchen vorbei, das becherweise frische Milch von seiner alten Ziege verkaufte. Jetzt, wo er in der Stadt war, konnte er sich wieder an mehr erinnern. In der Richtung, wohin der Dreizack des Alten Fischfußes zeigte, lag eine Gasse, wo man in Öl gebratenen Kabeljau kaufen konnte, knusprig und goldbraun an der Außenseite, weiß und zart innen. Dort gab es auch ein Bordell, das sauberer war als die meisten, und in dem sich ein Seemann mit einer Frau vergnügen konnte, ohne befürchten zu müssen, ausgeraubt oder ermordet zu werden. In der anderen Richtung, in einem der Häuser, die sich wie Entenmuscheln an die Mauer des Wolfsbaus drängten, hatte es ein Brauhaus gegeben, dessen dickes schwarzes Bier man in Pentos oder dem Hafen von Ibben leicht gegen ein Fässchen Arborgold eintauschen konnte. Vorausgesetzt, die Einheimischen ließen dem Braumeister genug davon übrig, um es zu verkaufen.
Allerdings stand ihm jetzt mehr der Sinn nach Wein; sauer und dunkel und düster. Er schlenderte über den Hof und eine Treppe hinunter zu einer Weinschenke, die unter einem Lagerhaus für Schafsfelle lag und Zum Faulen Aal hieß. In seinen Schmugglertagen war der Aal dafür berüchtigt gewesen, die ältesten Huren und den schlechtesten Wein von ganz White Harbor anzubieten, dazu Fleischgerichte, die an guten Tagen fett und knorpelig und ungenießbar waren, während man sich an schlechten leicht damit vergiftete. Die meisten Einheimischen mieden die Kaschemme und überließen sie den Seeleuten, die es nicht besser wussten. Im Faulen Aal sah man weder die Stadtwache noch die Zöllner.
Manche Dinge ändern sich nie. Im Aal schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Die Gewölbedecke war schwarz von Ruß, der Boden bestand aus gestampftem Lehm, in der Luft hing der Geruch von Rauch und verdorbenem Fleisch und getrocknetem Erbrochenen. Die fetten Talgkerzen auf den Tischen gaben mehr Rauch als Licht von sich, und der Wein, den Davos bestellte, wirkte im Dämmerlicht eher braun als rot. Vier Huren saßen an der Tür und tranken. Eine warf ihm ein hoffnungsvolles Lächeln zu, als er eintrat. Davos schüttelte den Kopf, und die Frau sagte etwas, über das ihre Gefährtinnen lachten. Danach schenkte ihm niemand mehr Beachtung.
Abgesehen von den Huren und dem Wirt hatte Davos den Aal für sich. Es war ein großer Keller, voller Nischen und schattiger Winkel, in die man sich gut zurückziehen konnte. Er trug seinen Wein in eine dieser Ecken und setzte sich mit dem Rücken zur Wand, um zu warten.
Kurz darauf erwischte er sich dabei, wie er in den Kamin starrte. Die Rote Frau konnte die Zukunft im Feuer sehen, aber Davos Seaworth sah nur die Schatten der Vergangenheit: Schiffe, die in Flammen standen, eine brennende Kette, grüne Schatten, die über den Bauch der Wolken zuckten, der Rote Bergfried, der brütend über allem aufragte. Davos war ein einfacher Mann, der seinen Aufstieg glücklichen Umständen, dem Krieg und Stannis zu verdanken hatte. Er verstand nicht, warum die Götter vier Burschen wie seine Söhne, jung und
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