09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)
Jon.
»Bislang nicht«, sagte Bowen Marsh. »Wenn der Winter naht, wäre es allerdings weise, wenn Euer Lordschaft hier Wachen aufstellte.«
Docht Schnitzstock trug die Schlüssel an einem eisernen Ring um den Hals. Für Jon sahen sie alle gleich aus, doch Docht fand irgendwie stets den richtigen für jede Tür. Im Inneren nahm er einen faustgroßen Klumpen Kreide aus der Tasche und markierte alle Fässer, Tonnen und Säcke, die er zählte, während Marsch die neuen Zahlen mit den alten verglich.
In den Kornkammern gab es Hafer und Weizen und Gerste, dazu Fässer mit grobgemahlenem Mehl. In den Rübenkellern baumelten Ketten aus Zwiebeln und Knoblauch von den Deckenbalken, dazu gab es dort Säcke mit Karotten, Pastinaken, Rettichen sowie weißen und gelben Rüben in den Regalen. In einem Lagerraum lagen Käseräder, die so groß waren, dass es zwei Männer brauchte, um sie zu bewegen. Im nächsten standen Fässer mit gepökeltem Rindfleisch, Schweinefleisch, Hammel und Kabeljau, die drei Meter hoch gestapelt waren. Dreihundert Schinken und dreitausend lange schwarze Würste hingen an Deckenbalken unter dem Räucherhaus. In der Gewürzkammer fanden sie Pfefferkörner, Nelken und Zimt, Senfsamen, Koriander, Salbei und Muskat-Salbei und Petersilie sowie Salzblöcke. Andernorts wurden Fässer mit Äpfeln und Birnen, getrockneten Erbsen, getrockneten Feigen, Säcke mit Walnüssen, Kastanien und Mandeln gelagert, außerdem Bretter mit getrocknetem und geräuchertem Lachs und mit Wachs versiegelte Tongefäße voller in Öl eingelegte Oliven. In einem Lagerraum wurden eingemachter Hase, Rehkeulen in Honig, eingelegter Kohl, Rote Bete, Zwiebeln, Eier und eingelegter Hering aufbewahrt.
Während sie von einem Gewölbe zum nächsten gingen, schien es in den Wurmhöhlen immer kälter zu werden. Bald schon bemerkte Jon, wie ihr Atem im Laternenlicht zu Wölkchen wurde. »Wir sind unter der Mauer.«
»Und bald sogar darin«, sagte Marsch. »In der Kälte verdirbt das Fleisch nicht. Für lange Lagerung ist das besser als Salz.«
Die nächste Tür bestand aus rostigem Eisen. Dahinter führte eine Holztreppe nach oben. Der Schwermütige Edd ging mit seiner Laterne voraus. Oben kamen sie in einen Tunnel, der so lang war wie die große Halle von Winterfell, allerdings nicht breiter als die Wurmhöhlen. Die Wände bestanden aus Eis und waren mit Eisenhaken gespickt. Von jedem hing ein Tierkadaver: gehäutete Hirsche und Elche, halbe Rinder, riesige Säue, kopflose Schafe und Ziegen, sogar Pferde und Bären. Alles war mit Reif überzogen.
Während sie zählten, zog sich Jon den linken Handschuh aus und berührte die Rehkeule, die ihm am nächsten war. Seine Finger klebten fest, und als er sie löste, blieb ein wenig Haut haften. Seine Fingerspitzen waren taub. Was hast du erwartet? Über deinem Kopf liegt ein Berg aus Eis, mehr Tonnen, als selbst Bowen Marsh zählen könnte. Trotzdem fühlte es sich der Raum kälter an, als er sein sollte.
»Es ist schlimmer, als ich befürchtet habe, Mylord«, verkündete Marsch, nachdem er fertig war. Er klang schwermütiger als der Schwermütige Edd.
Jon hatte gerade gedacht, er sei von allem Fleisch der Welt umgeben. Du weißt gar nichts, Jon Snow. » Wieso? Mir scheint das ein stattlicher Vorrat zu sein.«
»Es war ein langer Sommer. Wir hatten gute Ernten, die Lords waren großzügig. Wir hatten genug zurückgelegt, um drei Winterjahre zu überstehen. Vier, wenn wir etwas knausern. Jetzt allerdings müssen wir all diese Männer des Königs und die der Königin durchfüttern, dazu auch noch die Wildlinge … In Mole’s Town allein gibt es tausend nutzlose Mäuler zu füttern, und es kommen immer noch mehr. Drei sind gestern am Tor erschienen, am Tag davor ein Dutzend. So kann es nicht weitergehen. Sie in der Schenkung anzusiedeln ist gut und schön, aber es ist zu spät, um noch etwas anzupflanzen. Ehe das Jahr vorbei ist, haben wir nur noch Rüben und Erbsenbrei zu essen. Danach werden wir das Blut unserer eigenen Pferde trinken.«
»Lecker!«, verkündete der Schwermütige Edd. »Nichts ist so gut wie ein heißer Becher Pferdeblut in einer kalten Nacht. Ich nehme gern eine Prise Zimt dazu.«
Der Lord Verwalter beachtete ihn nicht. »Wir werden auch Krankheiten bekommen«, fuhr er fort, »blutendes Zahnfleisch und lockere Zähne. Maester Aemon hat immer gesagt, Limonensaft und frisches Fleisch würden das heilen, doch unsere Limonen sind schon seit einem Jahr verbraucht, und wir haben
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