09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)
und im Norden brach der Boden auf, hob sich und sackte dann in sich zusammen, so dass das wütende Meer das Land überschwemmte. Die stolzeste Stadt der ganzen Welt war in einem einzigen Augenblick verschwunden, ihr sagenhaftes Reich ging an einem Tag unter, die Länder des Langen Sommers wurden verbrannt, ertränkt, vernichtet.
Ein Reich, erbaut aus Blut und Feuer. Die Valyrer haben die Ernte eingefahren, die sie gesät hatten. » Beabsichtigt unser Kapitän, den Fluch auf die Probe zu stellen?«
»Unser Kapitän würde lieber hundert Meilen weiter aufs Meer hinausfahren, weit fort von dieser verfluchten Küste, aber ich habe ihm befohlen, den kürzesten Weg einzuschlagen. Andere sind ebenfalls zu Daenerys unterwegs.«
Greif mit seinem jungen Prinzen. Konnte das Gerede von der Goldenen Kompanie, die nach Westen segelte, eine List gewesen sein? Tyrion dachte daran, etwas zu sagen, überlegte es sich dann aber doch anders. Ihm schien es, in der Prophezeiung, der die Roten Priester anhingen, war nur Platz für einen Helden. Ein zweiter Targaryen würde sie nur durcheinanderbringen. »Habt Ihr diese anderen denn in Euren Feuern gesehen?«, fragte er vorsichtig.
»Nur ihre Schatten«, sagte Moqorro. »Und vor allem einen: ein großes, in sich verschlungenes Ding mit einem schwarzen Auge und zehn langen Armen, und es segelt auf einem Meer aus Blut.«
BRAN
Der Mond war eine Sichel, dünn und scharf wie die Klinge eines Messers. Bleich ging die Sonne auf und unter und wieder auf. Rotes Laub wisperte im Wind. Dunkle Wolken überzogen den Himmel und wuchsen zu Stürmen heran. Blitze zuckten, Donner grollte, und tote Männer mit schwarzen Händen und hellen blauen Augen schlurften um eine Spalte im Hang, kamen jedoch nicht herein. Unter dem Hügel saß der verkrüppelte Junge auf einem Wehrholzthron und lauschte dem Geflüster in der Dunkelheit, während Raben auf seinen Schultern saßen.
»Du wirst nie wieder gehen können«, hatte die dreiäugige Krähe versprochen, »aber du wirst fliegen.« Manchmal hallten von weit unten die Töne eines Liedes herauf. Die Kinder des Waldes, hätte Old Nan die Sänger genannt, aber sie selbst hatten in der Wahren Zunge, die kein Mensch sprechen konnte, einen anderen Namen für sich: Jene, die das Lied der Erde singen . Die Raben hingegen beherrschten diese Sprache. Ihre kleinen schwarzen Augen steckten voller Geheimnisse, und sie keckerten ihn an und pickten auf seine Haut, wenn sie die Lieder hörten.
Der Mond war dick und voll. Sterne kreisten unter einem schwarzem Himmel. Regen fiel und gefror, große Äste brachen unter dem Gewicht des Eises auseinander. Bran und Meera dachten sich Namen aus für jene, die das Lied der Erde sangen: Esche und Blatt und Zapfen, Schwarzmesser und Schneelocke und Kohle. Ihre richtigen Namen waren zu lang für Menschenzungen, sagte Blatt. Nur sie beherrschte die Gemeine Zunge, daher erfuhr Bran nie, was die anderen von ihren neuen Namen hielten.
Nach der knochenzermürbenden Kälte der Lande jenseits der Mauer herrschte in den Höhlen eine wohlige Wärme, und wenn die Kälte aus dem Fels kroch, zündeten die Sänger Feuer an, um sie wieder zu vertreiben. Hier unten gab es keinen Wind, keinen Schnee, kein Eis, keine toten Dinger, die einen packen wollten, nur Träume und Binsenlicht und die Küsse der Raben. Und den Flüsterer im Dunkeln.
Die Sänger nannten ihn den letzten Grünseher , aber in Brans Träumen blieb er die dreiäugige Krähe. Als Meera Reet ihn nach seinem richtigen Namen gefragt hatte, gab er nur einen grässlichen Laut von sich, der ein Kichern hätte sein können. »Ich habe viele Namen getragen, als ich noch schnell war, aber selbst ich hatte einst eine Mutter, und den Namen, den sie mir mit der Muttermilch gegeben hat, war Brynden.«
»Ich habe einen Onkel Brynden«, erwiderte Bran. »Eigentlich ist er der Onkel meiner Mutter. Brynden Blackfish wird er genannt.«
»Vielleicht wurde dein Onkel nach mir benannt. Das kommt auch heute noch vor. Nicht mehr so oft wie früher. Die Menschen vergessen. Nur die Bäume erinnern sich.« Seine Stimme war so leise, dass Bran sich anstrengen musste, um ihn zu verstehen.
»Das meiste von ihm ist in dem Baum aufgegangen«, erklärte die Sängerin, die Meera Blatt nannte. »Er hat die Lebensspanne eines sterblichen Menschen schon längst überschritten, und dennoch verweilt er hier bei uns. Für uns, für euch, für die Reiche der Menschen. Es steckt nur noch wenig Kraft in seinem Fleisch.
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