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09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)

09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)

Titel: 09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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von ihm entfernt, und trotzdem hätte sie genauso gut hundert Meilen fort sein können. Um sie zu berühren, müsste er sich mit den Händen über den Boden ziehen und die Beine hinter sich herschleifen. Der Boden war rau und uneben, und es würde langsam gehen, außerdem würde er Kratzer und Beulen bekommen. Ich könnte in Hodors Leib schlüpfen, dachte er. Hodor könnte sie halten und ihr auf die Schulter klopfen. Bei diesem Gedanken beschlich Bran ein eigenartiges Gefühl, aber er dachte immer noch daran, als Meera vom Feuer aufsprang und in die Dunkelheit der Tunnel lief. Ihre Schritte verklangen, bis außer den Stimmen der Sänger nichts mehr zu hören war.
    Der Mond war eine Sichel, dünn und scharf wie die Klinge eines Messers. Die Tage zogen vorbei, einer nach dem anderen, jeder kürzer als der vorangehende. Die Nächte wurden länger. Niemals fiel Sonnenlicht in die Höhlen unter dem Berg. Niemals drang Mondlicht in die Steinhallen. Sogar die Sterne waren Fremde hier unten. Solche Dinge gehörten zur Welt oben, wo die Zeit ihrem eisernen Kreislauf folgte, Tag und Nacht und Tag und Nacht und Tag.
    »Es ist an der Zeit«, sagte Lord Brynden.
    Irgendetwas in seinem Ton sandte eisige Schauer über Brans Rücken. »Zeit wofür?«
    »Für den nächsten Schritt. Du musst über das Leibwechseln hinausgehen und lernen, was es bedeutet, ein Grünseher zu sein.«
    »Die Bäume werden es ihn lehren«, sagte Blatt. Sie winkte, und eine andere Sängerin trat vor, die Weißhaarige, der Meera den Namen Schneelocke gegeben hatte. Sie trug eine Wehrholzschüssel in den Händen, in die ein Dutzend Gesichter geschnitzt war, Gesichter wie man sie von den Herzbäumen kannte. Darin befand sich eine weiße Paste, dick und schwer, durch die dunkelrote Adern liefen. »Davon musst du essen«, sagte Blatt. Sie reichte Bran einen Holzlöffel.
    Der Junge betrachtete die Schüssel unsicher. »Was ist das?«
    »Eine Paste aus Wehrholzsamen.«
    Irgendwie wurde Bran beim Anblick der Paste übel. Die roten Adern waren nur Wehrholzsaft, nahm er an, aber im Fackelschein erinnerten sie ihn an Blut. Er tauchte den Löffel in die Paste, doch dann zögerte er. »Werde ich dadurch zum Grünseher?«
    »Dein Blut macht dich zum Grünseher«, sagte Lord Brynden. »Dies wird dir helfen, deine Gabe zu wecken, und es wird dich mit den Bäumen vermählen.«
    Bran wollte nicht mit einem Baum vermählt sein … aber wer sonst würde einen Krüppeljungen wie ihn schon heiraten? Tausend Augen, hundert Leiber, Weisheit, so tief wie die Wurzeln uralter Bäume. Ein Grünseher.
    Er aß.
    Es schmeckte bitter, wenn auch nicht so bitter wie Eichelbrei. Den ersten Löffel hinunterzubekommen war das Schwierigste. Beinahe hätte er sich übergeben. Der zweite schmeckte besser. Der dritte war schon fast süß. Den Rest löffelte er gierig aus. Warum hatte er gedacht, es sei bitter? Es schmeckt nach Honig, nach frisch gefallenem Schnee, nach Pfeffer und Zimt und dem letzten Kuss, den seine Mutter ihm gegeben hatte. Die leere Schüssel glitt ihm aus den Händen und landete klappernd auf dem Höhlenboden. »Ich spüre gar keinen Unterschied. Was geschieht jetzt?«
    Blatt berührte seine Hand. »Die Bäume werden dich unterrichten. Die Bäume erinnern sich.« Auf ein Zeichen hin verließen die anderen Sänger die Höhle und löschten nach und nach ihre Fackeln. Die Dunkelheit wurde dichter und kroch auf sie zu.
    »Schließ die Augen«, sagte die dreiäugige Krähe. »Verlass deinen Leib, so wie du es machst, wenn du dich mit Summer vereinst. Aber diesmal schlüpfst du stattdessen in die Wurzeln. Folge ihnen durch die Erde zu den Bäumen auf dem Hügel und sag mir, was du siehst.«
    Bran schloss seine Augen und schlüpfte aus seinem Leib. In die Wurzeln, dachte er. In den Wehrholzbaum. Werde der Baum. Einen Augenblick lang konnte er die Höhle in ihrer Schwärze sehen und den Fluss unten rauschen hören.
    Dann war er plötzlich wieder zu Hause.
    Lord Eddard Stark saß auf einem Felsen neben dem tiefschwarzen Tümpel im Götterhain, und die bleichen Wurzeln des Herzbaums wandten sich um ihn wie die knorrigen Arme eines alten Mannes. Das Großschwert Ice lag auf Lord Eddards Schoß, und er reinigte die Klinge mit einem Öllappen.
    » Winterfell «, flüsterte Bran.
    Sein Vater sah auf. »Wer ist da?«, fragte er und drehte sich um …
    … und Bran wich erschrocken zurück. Sein Vater und der schwarze Tümpel und der Götterhain waren verschwunden, und er war wieder zurück in

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