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09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)

09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)

Titel: 09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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überquerte sogar die schmale Steinbrücke, die sich über den Abgrund wölbte, und entdeckte weitere Gänge und Kammern auf der anderen Seite. Eine war voller Sänger, die wie Brynden auf Thronen saßen, inmitten von Nestern aus Wehrholzwurzeln, die sich um ihre Körper herum- und durch sie hindurchwoben. Die meisten sahen tot aus, doch als er an ihnen vorbeiging, schlugen sie die Augen auf und folgten dem Licht seiner Fackel. Einer machte sogar den verrunzelten Mund auf und zu, als wollte er sprechen. »Hodor«, sagte Bran zu ihm, und er spürte, wie sich der echte Hodor in seiner Grube regte.
    Auf seinem Thron aus Wurzeln in der großen Höhle, halb Leiche und halb Baum, erschien Lord Brynden weniger wie ein Mensch, sondern eher wie eine schauerliche Statue aus einem verdrehten Stück Holz, alten Knochen und zerfallener Wolle. Das Einzige, was in der fahlen Ruine seines Gesichtes noch lebendig wirkte, war das eine rote Auge, das wie ein letztes Stück Kohle in einem toten Feuer glomm. Umgeben war es von knorrigen Wurzeln und Fetzen ledriger weißer Haut, die von dem gelblichen Schädel hing.
    Der Anblick machte Bran immer noch Angst: die Wehrholzwurzeln, die in das verwelkte Fleisch hineingingen und wieder herauskamen, die Pilze, die auf den Wangen sprossen, die weiße hölzerne Wurm, der aus der Höhle hervorwuchs, wo sich einst das andere Auge befunden hatte. Es gefiel ihm besser, wenn die Fackeln gelöscht waren. In der Dunkelheit konnte er sich vorstellen, es sei die dreiäugige Krähe, die ihm zuflüsterte, und nicht eine schauderhafte sprechende Leiche.
    Eines Tages werde ich sein wie er. Der Gedanke erfüllte Bran mit Schrecken. Genügte es nicht, dass er ein Krüppel mit nutzlosen Beinen war. Sollte er jetzt auch noch dazu verdammt sein, seinen übrigen Körper zu verlieren und den Rest seiner Jahre damit zu verbringen, einen Wehrholzbaum in sich und durch sich hindurchwachsen zu lassen? Lord Brynden zog sein Leben aus dem Baum, hatte Blatt ihnen erklärt. Er aß nicht und trank nicht. Er schlief, er träumte, er beobachtete. Ich wäre ein Ritter geworden, erinnerte sich Bran. Ich bin gelaufen und geklettert, und ich habe gekämpft. Das schien tausend Jahre her zu sein.
    Was war er jetzt? Nur Bran, der Krüppeljunge, Brandon aus dem Hause Stark, Prinz eines verlorenen Königreiches, Lord einer verbrannten Burg, Erbe von Ruinen. Er hatte gedacht, die dreiäugige Krähe würde ein Hexenmeister sein, ein weiser alter Zauberer, der seine Beine heilen könnte, aber das war nur ein dummer Kindertraum gewesen. Ich bin zu alt für solche Märchen, schärfte er sich ein. Tausend Augen, hundert Leiber, Weisheit, so tief wie die Wurzeln uralter Bäume. Das war genauso gut, wie ein Ritter zu werden. Jedenfalls fast genauso gut.
    Der Mond war ein schwarzes Loch am Himmel. Außerhalb der Höhle bewegte sich die Welt weiter. Außerhalb der Höhle ging die Sonne auf und unter, der Mond zog seine Bahnen, und die kalten Winde heulten. Unter dem Hügel wurde Jojen Reet zur Besorgnis seiner Schwester immer mürrischer und zog sich immer mehr zurück. Oft saß sie mit Bran an ihrem kleinen Feuer, redete über alles und nichts und streichelte Summer, wenn er zwischen ihnen schlief. Derweil wanderte ihr Bruder allein durch die Höhlen. Jojen kletterte sogar häufig bei Tag zum Höhleneingang hinauf. Dort stand er dann stundenlang, schaute hinaus in den Wald und zitterte trotz der Felle, in die er sich gehüllt hatte.
    »Er will nach Hause«, sagte Meera zu Bran. »Er will nicht einmal versuchen gegen sein Schicksal anzukämpfen. Er sagt, seine Grüne Träume lügen nicht.«
    »Er ist tapfer«, sagte Bran. Ein Mann kann nur tapfer sein, wenn er sich fürchtet, das hatte ihm sein Vater einmal vor langer, langer Zeit erklärt, an dem Tag, an dem sie die Schattenwolfwelpen im Sommerschnee gefunden hatten. Er erinnerte sich noch daran.
    »Er ist dumm«, erwiderte Meera. »Ich hatte gehofft, wenn wir die dreiäugige Krähe finden würden … Jetzt frage ich mich, warum wir überhaupt hergekommen sind.«
    Meinetwegen, sagte Bran. »Wegen seines Grünen Traums«, sagte er.
    »Wegen seiner Grünen Träume.« Meera klang verbittert.
    »Hodor«, sagte Hodor.
    Meera begann zu weinen.
    Bran hasste es, ein Krüppel zu sein. »Weine nicht«, sagte er. Am liebsten hätte er die Arme um sie gelegt und sie festgehalten, so wie es seine Mutter immer in Winterfell getan hatte, wenn er sich wehgetan hatte. Sie war direkt neben ihm, kaum einen Meter

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