09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)
fühlt es sich seltsam an, aber wenn man sie eine Weile getragen hat, sitzt alles richtig.
» Alliser Thorne hat sich bei mir über die Umstände Eurer Wahl beschwert, und ich kann nicht sagen, dass seine Klagen vollkommen unberechtigt sind.« Die Karte lag zwischen ihnen wie ein Schlachtfeld und leuchtete in den Farben des glühenden Schwertes. »Die Auszählung wurde von einem Blinden zusammen mit Eurem dicken Freund vorgenommen. Und Slynt nennt Euch einen Abtrünnigen.«
Und wer kennt sich mit Abtrünnigen besser aus als Slynt? »Ein Abtrünniger würde Euch nach dem Munde reden und Euch hinter Eurem Rücken verraten. Euer Gnaden wissen sehr wohl, dass es bei meiner Wahl mit rechten Dingen zugegangen ist. Mein Vater hat Euch stets als einen gerechten Mann bezeichnet.« Gerecht, aber hart, so hatte sich Lord Eddard ausgedrückt, doch Jon hielt es nicht für schlau, das dem König auf die Nase zu binden.
»Lord Eddard war nicht mein Freund, aber er verfügte wenigstens über ein gewisses Maß an Vernunft. Er hätte mir diese Burgen überlassen.«
Niemals. »Ich kann nichts darüber sagen, was mein Vater getan hätte. Aber ich habe einen Eid abgelegt, Euer Gnaden. Die Mauer gehört mir.«
»Im Augenblick. Wir werden ja sehen, wie gut Ihr sie halten könnt.« Stannis zeigte mit dem Finger auf ihn. »Behaltet Eure Ruinen, wenn sie Euch so viel bedeuten. Ich verspreche Euch aber eins: Falls am Jahresende noch Burgen unbesetzt sind, werde ich sie mir nehmen, ob nun mit Eurer Erlaubnis oder ohne. Und solltet Ihr auch nur eine an den Feind verlieren, so werdet Ihr dafür mit Eurem Kopf bezahlen. Und jetzt hinaus.«
Lady Melisandre erhob sich von ihrem Platz am Kamin. »Mit Eurer Erlaubnis, Majestät, würde ich Lord Snow gern in seine Unterkunft begleiten.«
»Warum? Er kennt den Weg.« Stannis winkte sie beide hinaus. »Macht, was Ihr wollt. Devan, das Essen. Gekochte Eier und Zitronenwasser.«
Nach der Wärme im Solar des Königs war es auf der Treppe umso eisiger. »Der Wind nimmt zu, Mylady«, warnte der Feldwebel Melisandre, als er Jon seine Waffen zurückgab. »Vielleicht solltet Ihr einen wärmeren Mantel anziehen?«
»Ich habe meinen Glauben, um mich zu wärmen.« Die Rote Frau stieg neben Jon nach unten. »Seine Gnaden gewinnt Euch langsam lieb.«
»Das habe ich gemerkt. Er hat nur zweimal gedroht, mich enthaupten zu lassen.«
Melisandre lachte. »Sein Schweigen solltet Ihr mehr fürchten als seine Worte.« Als sie den Hof erreichten, fuhr Jon der Wind in den Mantel, der daraufhin der Roten Frau entgegenflatterte. Die Priesterin drückte die schwarze Wolle zur Seite und hakte sich bei ihm ein. »Vielleicht liegt Ihr gar nicht so falsch, was den Wildlingskönig angeht. Ich werde zum Herrn des Lichts um Einsicht beten. Wenn ich in die Flammen sehe, kann ich durch Stein und Erde schauen und sehe die Wahrheit in den Herzen der Menschen. Ich kann mit Königen sprechen, die lange schon tot sind, mit Kindern, die noch nicht geboren sind, und ich sehe die Jahre und die Zeiten vorbeieilen bis zum Ende aller Tage.«
»Irren Eure Feuer nie?«
»Niemals … allerdings sind wir Priester Sterbliche und können manchmal Fehler machen, zum Beispiel verwechseln, ob etwas kommen muss oder ob etwas kommen kann .«
Jon spürte ihre Hitze selbst durch seine Wolle und das gehärtete Leder. Ihr Anblick, wie sie Arm in Arm über den Hof gingen, zog neugierige Blicke auf sich. Heute Nacht werden sie in den Unterkünften reden. »Wenn Ihr das Morgen tatsächlich in Euren Flammen sehen könnt, dann sagt mir, wann und wo der nächste Angriff der Wildlinge stattfinden wird.« Er befreite sich von ihrem Arm.
»R’hllor schickt uns Visionen nach seinem Gutdünken, aber ich werde in den Flammen nach diesen Tormund suchen.« Melisandres rote Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Auch Euch habe ich in meinen Feuern gesehen, Jon Snow.«
»Ist das eine Drohung, Mylady? Habt Ihr die Absicht, auch mich zu verbrennen?«
»Ihr habt mich falsch verstanden.« Sie blickte ihn forschend an. »Ich fürchte, ich bereite Euch Unbehagen Lord Snow.«
Jon widersprach nicht. »Die Mauer ist kein Ort für eine Frau.«
»Da irrt Ihr. Ich habe von Eurer Mauer geträumt, Jon Snow. Groß war das Wissen, mit dem sie errichtet wurde, und unter ihrem Eis liegen mächtige Zauber verschlossen. Wir gehen gerade unter einem der Angelpunkte der Welt entlang.« Melisandre schaute hinauf, und ihr warmer Atem bildete eine Nebelwolke in der Luft. »Dieser
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