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09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)

09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)

Titel: 09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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Steinstraßen von Valyria zählt Langschritt zu den neun. Es müsste sich um das fünfte handeln, wenn ich mich nicht irre.«
    »Das vierte«, verbesserte ihn Tyrion, der als Junge alle sechzehn auswendig gelernt hatte. Sein Onkel Gerion hatte ihn bei Festen gern auf den Tisch gehoben und alle aufzählen lassen. Das hat mir eigentlich gefallen, oder? Mitten zwischen ihren Tellern zu stehen, alle Blicke auf mich gerichtet, und vorzuführen, was für ein kluger kleiner Gnom ich doch bin. Noch Jahre danach hatte er den Traum gehabt, eines Tages die Welt zu bereisen und Langschritts Wunder mit eigenen Augen zu sehen.
    Lord Tywin hatte diesen Hoffnungen zehn Tage vor dem sechzehnten Namenstag seines Zwergsohns ein Ende bereitet, als Tyrion darum bat, die Neun Freien Städte bereisen zu dürfen, wie es vor ihm seine Onkel im gleichen Alter getan hatten. »Meinen Brüdern durfte man zutrauen, dem Hause Lannister keine Schande zu bereiten«, hatte sein Vater entgegnet. »Aber von denen hat auch keiner eine Hure geehelicht.« Und als Tyrion ihn daran erinnert hatte, dass er in zehn Tagen ein erwachsener Mann wäre und frei zu gehen, wohin er wollte, hatte Lord Tywin erwidert: »Kein Mann ist frei. Nur Kinder und Narren wissen das nicht. Geh nur, wenn du unbedingt willst. Trag das Narrenkleid und schlag Räder, um die Gewürzfürsten oder Käsekönige zu belustigen. Aber bezahle alles aus deiner eigenen Tasche und wage nicht im Traum daran zu denken, jemals hierher zurückzukehren.« Damit war der Widerstand des Jungen gebrochen. »Wenn du eine sinnvolle Beschäftigung suchst, sollst du eine bekommen«, hatte sein Vater daraufhin gesagt. Und zum Zeichen des erreichten Mannesalters hatte er Tyrion die Aufsicht über alle Abwässerkanäle und Zisternen von Casterly Rock übertragen. Vielleicht hat er gehofft, ich würde in eine hineinfallen. Aber da hatte er Lord Tywin enttäuscht. Die Abflüsse waren nie in so gutem Zustand gewesen wie zu der Zeit, als Tyrion sich darum gekümmert hatte.
    Ich brauche einen Becher Wein, um den Geschmack von Tywin aus meinem Mund zu spülen. Ein Schlauch voll Wein wäre noch viel besser …
    Sie ritten die ganze Nacht hindurch, und Tyrion schlief unruhig. Er döste am Sattelknauf und wachte immer wieder unvermittelt auf. Von Zeit zu Zeit rutschte er seitlich aus dem Sattel, doch Ser Rolly packte ihn stets und zog ihn wieder hinauf. Als der Morgen graute, schmerzten die Beine des Zwergs, und seine Wangen waren wund und rau.
    Am nächsten Tag erreichten sie den Ort Ghoyan Drohe direkt am Fluss. »Die sagenhafte Rhoyne«, stellte Tyrion fest, als von einer Anhöhe aus die träge dahinfließende, grüne Wasserstraße erblickte.
    »Die Kleine Rhoyne«, sagte Ente.
    »Ja, richtig.« Ein hübscher Fluss, so scheint es, aber selbst der kleinste Arm des Tridents ist doppelt so breit, und alle drei fließen schneller. Die Stadt war kaum eindrucksvoller. Ghoyan Drohe war nie groß gewesen, das wusste Tyrion aus seinen Geschichtsbüchern, aber ein schöner Ort, grün und blühend, eine Stadt der Kanäle und Brunnen. Bis der Krieg kam. Bis die Drachen kamen. Tausend Jahre später erstickten die Kanäle unter Unkraut und Schlamm, und die Brunnen waren zu Tümpeln geworden, zu Brutstätten von Fliegenschwärmen. Die Ruinen von Tempeln und Palästen versanken langsam im weichen Boden, und knorrige alte Weiden wuchsen überall entlang des Ufers.
    Nur wenige Menschen lebten noch in diesem Schmutz und bestellten kleine Gärten inmitten des Schilfs. Als sie den Hufschlag von der alten valyrischen Straße her hörten, verkrochen sich die meisten von ihnen in die Löcher, aus denen sie hervorgekommen waren, nur die Verwegeneren blieben lange genug in der Sonne, um die Reiter aus stumpfen, gleichgültigen Augen anzustarren. Ein nacktes Mädchen, das bis zu den Knien mit Schlamm beschmiert war, schien den Blick nicht von Tyrion wenden zu können. Sie hat noch nie einen Zwerg gesehen, wurde ihm bewusst, und schon gar keinen Zwerg ohne Nase. Er schnitt eine Grimasse und streckte die Zunge heraus. Daraufhin begann das Mädchen zu weinen.
    »Was hast du der Kleinen denn getan?«, wollte Ente wissen.
    »Ich habe ihr einen Kuss zugeworfen. Alle Mädchen weinen, wenn ich sie küsse.«
    Jenseits des Weidengestrüpps endete die Straße abrupt, und sie wandten sich nach Norden und ritten ein Stück am Wasser entlang, bis die Büsche aufhörten und sie vor einem alten Steinkai standen, der zur Hälfte überschwemmt und von hohem

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