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09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)

09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)

Titel: 09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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reizlose Frau, die er zitternd in Eastwatch am Meer zurückgelassen hatte. Wenn man dem Gerede glauben durfte, hatte der König nicht die Absicht, nach Königin Selyse und ihrer gemeinsamen Tochter zu schicken, ehe das Nachtfort bewohnbar war. Sie taten Jon leid. Die Mauer bot wenig Annehmlichkeiten, wie sie die Damen des Südens und kleine hochwohlgeborene Mädchen gewohnt waren, und das Nachtfort gar keine. Es war ein unwirtlicher Ort, selbst zu seinen besten Zeiten.
    » FREIES VOLK!«, rief Melisandre. »Sehet, welches Schicksal jene erleiden, die die Dunkelheit wählen.«
    Das Horn von Joramun ging in Flammen auf.
    Mit einem lauten Wusch leckten grüne und gelbe Feuerzungen über die gesamte Länge des Horns. Jons Pferd scheute nervös, und auch die anderen Reiter in den Reihen mussten ihre Tiere beruhigen. Aus dem Pferch stieg ein Stöhnen auf, als das Freie Volk zuschauen musste, wie seine Hoffnung lichterloh in Flammen stand. Einige Wildlinge schrien und fluchten, die meisten hingegen sahen stumm zu. Einen halben Herzschlag lang schienen die Runen in den Goldbändern in der Luft zu schimmern. Die Männer der Königin hoben es hoch, und das Horn trudelte in die Feuergrube.
    In seinem Käfig zerrte Mance Rayder an der Schlinge um seinen Hals und schrie unzusammenhängende Sätze von Verrat und Hexerei, er verleugnete seinen Königstitel, verleugnete sein Volk, verleugnete seinen Namen und verleugnete alles, was er je gewesen war. Er bettelte um Gnade und verfluchte die Rote Frau, ehe er hysterisch zu lachen begann.
    Jon schaute zu, ohne mit der Wimper zu zucken. Er wagte nicht, Schwäche vor seinen Brüdern zu zeigen. Er hatte zweihundert Mann herausgeschickt, mehr als die Hälfte der Besatzung der Schwarzen Festung. Auf ihren Reittieren bildeten sie ernste, düstere Reihen. In den Händen hielten sie lange Speere, die Gesichter verbargen sich unter den tief heruntergezogenen Kapuzen … und nicht nur sie, sondern auch die Tatsache, dass sie vor allem Graubärte und grüne Jungen waren. Das Freie Volk fürchtete sich vor der Wache. Diese Angst, so fand Jon, sollten sie ruhig mit in ihre neue Heimat südlich der Mauer nehmen.
    Das Horn landete krachend zwischen Stämmen und Laub und Zunder. Innerhalb dreier Herzschläge stand die gesamte Grube in Flammen. Mance umklammerte die Stangen seines Käfigs, schluchzte und flehte. Als ihn das Feuer erreichte, begann er zu tanzen. Seine Schreie wurden zu einem einzigen langen, wortlosen Schrei, voller Angst und Schmerz. In seinem Käfig flatterte er herum wie ein brennendes Blatt.
    Jon fiel ein Lied ein.
    » Brüder, ach, Brüder, meine Tage sind um,
    der Dornische hat’s Leben mir genommen,
    doch was soll das schon machen,
    ein jeder muss geh’n,
    und in des Dornischen Weib
    bin ich gekommen!«
    Val stand still und starr wie eine Salzsäule auf dem Podest. Sie wird weder weinen noch den Blick abwenden. Jon fragte sich, was Ygritte an ihrer Stelle getan hätte. Die Frauen sind die Starken. Plötzlich dachte er unwillkürlich an Sam und Maester Aemon, an Goldy und den Kleinen. Sie wird mich noch mit ihrem letzten Atemzug verfluchen, aber ich habe keinen anderen Weg gesehen. Aus Eastwatch kamen Berichte über heftige Stürme auf der Meerenge. Ich wollte nur, dass sie in Sicherheit sind. Habe ich sie stattdessen an die Krebse verfüttert? In der Nacht hatte er geträumt, wie Sam ertrank, wie Ygritte durch seinen Pfeil gestorben war (obwohl er in Wirklichkeit den Pfeil nicht abgeschossen hatte, war es in seinen Träumen doch stets seiner), wie Goldy Tränen aus Blut weinte.
    Jon Snow hatte genug gesehen. »Jetzt«, befahl er.
    Ulmer aus dem Kingswood rammte den Speer in den Boden, nahm seinen Bogen vom Rücken und zog einen schwarzen Pfeil aus dem Köcher. Der Süße Donnel Hügel warf die Kapuze zurück und tat das Gleiche. Garth Graufeder und der Bärtige Ben legten Pfeile auf, zogen durch und schossen.
    Ein Pfeil traf Mance Rayder in die Brust, einer in den Bauch, einer in die Kehle. Der vierte schlug in eine der Holzstangen des Käfigs, blieb zitternd stecken und begann zu brennen. Das Schluchzen einer Frau hallte von der Mauer wider, als der Wildlingskönig schlaff zu Boden sank und in Feuer gehüllt wurde. »Und nun ist seine Wache zu Ende«, murmelte Jon leise. Mance Rayder war einst ein Mann der Nachtwache gewesen, ehe er den schwarzen Mantel gegen einen mit leuchtenden roten Seidenflicken eingetauscht hatte.
    Stannis auf dem Podest setzte eine finstere Miene auf.

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