09-Die Pfade des Schicksals
Seite zu eilen; ihn zu untersuchen und festzustellen, wie schwer verletzt er war; ihm zu helfen, so gut sie es vermochte. Ein anderer Teil brannte darauf, sich mit einem großen Satz auf den Sonnenstein zu stürzen, der ihr hoffentlich einen Teil ihres Gesundheitssinns zurückgeben würde. Aber sie zwang sich dazu, unbeweglich stehen zu bleiben. Der Croyel konnte sie so leicht zerschmettern, wie er Liand die Knochen gebrochen hatte. Gegen ihn war sie machtlos.
Sie wusste, was sie tun würde. Ihre Entscheidung stand schon fest. Aber sie musste den richtigen Augenblick dafür abwarten.
Ihr Augenblick würde kommen, wenn der Egger und das Ungeheuer abgelenkt waren.
Wo war Roger? Covenants Sohn hätte Jeremiah und den Croyel doch bestimmt nicht unbewacht gelassen? Darauf vertraute Linden. War Roger auf sich allein gestellt, genügte ihm die Macht von Kastenessens Hand nicht, und das galt auch für die komplexen Magien des Croyel. Wie die Bestie war Roger auf Jeremiahs übernatürliche Talente angewiesen. Ohne sie konnten Roger und der Croyel nicht die Zerstörung des Bogens der Zeit überleben, um Götter zu werden.
Das Duell zwischen dem Insequenten und dem Croyel wurde allmählich weniger heftig oder veränderte sich. Linden bemerkte den Wechsel, als der Egger die Schultern bewegte und eine etwas andere Haltung einnahm. Er musste beschlossen haben, seine Taktik zu ändern.
»Wagst du es, mich herauszufordern?« Trotz der Verachtung, die aus dem Blick des Croyel sprach, lag nur Triumph in der Stimme des Insequenten. Im Gegensatz zu Jeremiahs Schlaffheit war er eine stolze Gestalt mit straffen Muskeln, eleganter Kleidung und herrischer Allüre. »Du siehst, dass mein Fleisch und Blut nicht anders ist als das des Jungen, den du unterjocht hast. Deshalb glaubst du, mir überlegen zu sein. Aber das ist ein gewaltiger Irrtum. Zu deinem Nachteil weigerst du dich, meinen Blick zu erwidern. Hast du nicht erkannt, dass ich den Stab des Gesetzes zu gebrauchen gelernt habe? Und bald werde ich die unvergleichliche Macht des weißen Goldes einsetzen. In diesem Augenblick werden mein Wissen und meine Macht vollkommen sein.
Zweifellos sind deine Stärken altehrwürdig und groß. Dennoch kannst du nicht hoffen, dich gegen mich zu behaupten.«
Das Ungeheuer löste kurz seine Zähne von Jeremiahs Hals, um den Egger anzugrinsen. Dann nahm es sein grausiges Mahl wieder auf.
»Noch kannst du hier auf Unterstützung hoffen«, fuhr der Insequente fort. »Die von dir errichtete Barriere blockiert Freund und Feind gleichermaßen. Selbst die Halbhand, die dein Gefährte und Verbündeter war, kann nicht in diesen geschützten Raum eindringen.«
Kann nicht …? Linden horchte auf. Vielleicht sagte der Egger die Wahrheit. Vor dem Kampf um Erstes Holzheim hatte er den Zauber zerspellt, mit dem Roger sich und seine Höhlenschrate getarnt hatte. Also hätte der Egger doch sicher Gefahr gewittert, wenn Roger in der Nähe gewesen wäre?
Aber als Roger eingetroffen war, um den Egger und Esmer und Linden anzugreifen, hatte er den Croyel zurückgelassen. Er war ohne Unterstützung des Croyel, ohne seine Theurgie zum Angriff vorgerückt.
Trotzdem behauptete sich die tiefe Verachtung des Eggers gegen den bösartigen Blick des Ungeheuers: »Oh, ich bezweifle nicht, dass er deinen Aufenthaltsort kennt, was die Elohim nicht tun. Ich bin mir sogar sicher, dass er an deinem Entschluss, dich hier zu verbergen, mitgewirkt und dir den Weg hierher erleichtert hat. Aber als du die Barriere errichtet hast, die eine Entdeckung durch die Elohim verhindert, hast du auch ihn ausgesperrt. Kastenessens Hand ist ihm angewachsen, ist ein Teil seines Körpers geworden. Und Kastenessen ist ein Elohim. So hat deine eigene Gerissenheit dich mir ausgeliefert.
Keine andere Macht kann dir zu Hilfe kommen. Du bist mein.«
Der Insequente schwenkte den Stab und ließ eine sonnenhelle Flamme in die Kuppel aufsteigen. Unabsichtlich stellte er damit Lindens Gesundheitssinn wenigstens teilweise wieder her.
Roger hatte Linden erklärt, Kastenessen strebe nur nach der Vernichtung seines eigenen Volkes, und sie glaubte ihm. Kastenessens Schmerzen beherrschten ihn. Er hatte keine anderen Wünsche mehr. Durch Esmer hatte er sich schon einmal gegen den Egger gestellt, und er würde es wieder tun, wenn sich Gelegenheit dazu bot - aber nur, weil er verhindern wollte, dass der Egger sein Volk rettete. Er legte keinen Wert darauf, Jeremiahs Talente für eigene Zwecke zu nutzen.
Roger
Weitere Kostenlose Bücher