09-Die Pfade des Schicksals
tat, schienen Aasfresser aus ihren Augen und Ohren zu krabbeln und an ihrem Hals hinabzukriechen, um sich in ihrer Kleidung in Sicherheit zu bringen. Gleichzeitig loderte das Stabfeuer wieder hell auf. Durch geschenkte Kraft reanimiert, nahm sie ihre Umgebung plötzlich wieder wahr.
Die Wegwahrer waren eilig dabei, Vitrim an Lindens Gefährten zu verteilen: erst an die Riesinnen und Liand, danach an die Ramen und Anele und den Eifrigen. Graubrand hielt Kaltgischt einen Becher, in ihren Pranken nur fingerhutgroß, an die Lippen. Während Esmer düstere Beschwörungen murmelte, als wollte er seine Macht verstärken, gaben die grauen Dämondim-Abkömmlinge den Gedemütigten einen Becher und beobachteten, wie Branl Covenants Kopf festhielt, damit Galt ihm Vitrim einflößen konnte.
Die Wegwahrer waren selbst der Erschöpfung nahe, das erkannte Linden jetzt deutlich. Trotzdem setzten sie ihren Dienst fort. Obwohl die Becher klein waren, wurden die Riesinnen sichtbar stärker. Frisch belebt hob der Eifrige den Kopf, nahm die hängenden Schultern zurück. Einige seiner Bänder streckten sich, schnippten ihre verkohlten Enden ab. Selbst Covenant wirkte weniger verschwommen, als wären die Umrisse seiner Gegenwart jetzt klarer definiert. Aber er blieb in seinen Erinnerungen gefangen.
Die Urbösen heulten bestürzt oder zornig im Chor auf. Alle zeigten plötzlich auf die Höhlendecke. Ihr Lehrenkundiger benutzte seinen kurzen Eisenspieß oder Szepter, um auf einen bestimmten nassen Fleck zwischen den Stalaktiten zu deuten.
Von Vitrim wie elektrisiert konnte Linden endlich wieder die eigene Verfassung einschätzen. Ihr Wahrnehmungsvermögen sagte ihr, dass die zugeführte Energie nicht ausreichen würde. Sie hatte nur einen kleinen Teil ihrer Ressourcen aufgefüllt - und diese Erholung würde nicht lange vorhalten. Die Nähe des Übels beeinträchtigte ihre Fähigkeit, Erdkraft zu gebrauchen. Sie war vielleicht zu einem letzten Feuerstrahl imstande. Aber er würde zu schwach ausfallen, um Ihr, die nicht genannt werden darf, zu schaden, und die Skurj überhaupt nicht beeindrucken.
Bald würden diese Teufel nahe genug heran sein, um angreifen zu können.
Die Urbösen heulten und kläfften weiter, als forderten sie etwas …
… etwas, das Linden nicht identifizieren konnte.
»Linden!«, schrie Liand sie an. »Du musst etwas tun! Nur du kannst helfen! Ich verstehe die Urbösen nicht!«
Sein Sonnenstein war bedeutungslos geworden. Schwerter und Muskeln allein waren wertlos. Mit Loriks Krill würde die Eisenhand vermutlich einen wirkungsvollen Streich führen können. Danach würde sie untergehen - und der Croyel würde mit Jeremiah entkommen.
Jetzt oder nie. Esmer hatte den Riesinnen die Fähigkeit geraubt, das Drängen der Urbösen zu verstehen.
Linden spürte bereits, wie das Vitrim in ihren Adern zu Asche wurde.
»Gottverdammt noch mal, Esmer.« Sie besaß nicht mehr die Kraft, die Stimme zu erheben. »Du hast mehr als genug Schaden angerichtet. Jetzt könntest du wenigstens übersetzen.«
Cails Sohn betrachtete sie mit Beschämung wie blutrote Gischt in den Augen. Verachtung und Qualen wechselten sich auf seinem Gesicht ab. Aus seinen nicht bedeckten Wunden sickerte weiter Blut.
Lindens Magennerven verkrampften sich neuerlich vor Übelkeit, aber sie sah nicht weg. Ihr matter Blick forderte Esmer auf, sich über den Preis seines Verrats Rechenschaft abzulegen.
Krampfartiger Abscheu verzerrte seine Züge. Widerstrebend knurrte er: »Die Urbösen wollen, dass du erkennst, dass das von der Decke kommende Wasser irgendeinen Quell haben muss. Wie du sicher weißt…« Sein Tonfall besagte: Wie sogar du sicher weißt.»… sammelt der Seelentrost den größten Teil der Bäche und Flüsse des Oberlands und ergießt sich in die Tiefen des Gravin Threndor. Diese Fluten traten später beschmutzt als der Unratfluss zutage. Aber hast du jemals über den Weg dieser Wassermassen auf ihren Jahrtausenden in den Tiefen des Donnerbergs nachgedacht? Die Urbösen versichern dir, dass der Seelentrost an den Schrathöhlen vorbei in Tiefen fällt, die außer ihnen keiner mehr kennt. Dort bildet er Seen, sammelt sich in Klüften und füllt die Finsternis aus, bis er zuletzt wieder ins Unterland austritt.«
Esmer sah nach oben. »Die Urbösen behaupten, in der Decke dieser Grabkammer eine schwache Stelle entdeckt zu haben.«
Dann machte er demonstrativ den Mund zu, schien hart auf das eigene Elend zu beißen.
Die Urbösen tobten und
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