09-Die Pfade des Schicksals
Gewisslich! Sie basierten auf einer künstlichen Trennung zwischen bloßer Auferlegung und tatsächlicher Einmischung, die durch den Gang der Dinge allzu leicht aufgehoben wird.
Um diese Gefahr zu vermindern, wurde das Geas zweifach gestaltet: um dem Egger aufzuerlegen, dass die Lady über die Erfüllung seines Eides entscheiden sollte, und danach zur Förderung seines eigenen Strebens. Durch solche Hilfe hofften die Insequenten, sich gegen jeden Verstoß gegen die notwendigen Beschränkungen unseres Lebens als Volk absichern zu können.
Trotzdem wollte niemand diese Aufgabe übernehmen. Das Risiko, sich einzumischen, erschien allen zu groß. Die Tapfersten und Mächtigsten unter uns weigerten sich, diese Gefahr zu schultern. Deshalb habe ich sie an ihrer Stelle auf mich genommen.«
Der Eifrige seufzte. »Für einen Insequenten bin ich noch jung, unbekümmert und selbstsicher obendrein, wie du gewiss bemerkt hast. Aber du hast bestimmt auch gemerkt, dass ich nicht zaghaft bin. In meiner Gier nach dem Einzigartigen, absolut Neuartigen habe ich bislang alles ausgespart, was mich geängstigt hat. So hatte ich keinen rechten Begriff von meiner Gefahr oder von eurer oder davon, welchen Kummer meine Entscheidung bringen könnte. Stattdessen habe ich meine neue Rolle unter den Insequenten genossen.
Ich bin ein Jünger der Mahdoubt«, erklärte er wie schon in Andelain, als bäte er um Verständnis - vielleicht auch um Vergebung. »Meine Absicht war gut. Mein spezieller Hunger wird nie befriedigt. Und weil ich jung bin, war ich mit meiner Unwissenheit zufrieden. Ich habe mich erboten, dem Willen der Insequenten Geltung zu verschaffen, ohne die möglichen Kosten zu bedenken.
Aber ich habe meinen Auftrag nicht erfüllt. Ich habe mein Geas und dich und die ganze Erde im Stich gelassen. Von der Magie der Gräuelinger gefesselt und von den Schrecken der Verlorenen Tiefe entsetzt habe ich den Egger im Kampf gegen seine Feinde alleingelassen. So habe ich seinen Tod und das Ende seiner Pläne zugelassen. Durch meine Ängstlichkeit und Schwäche wurde aus einer spitzfindig auferlegten Verpflichtung eine echte Einmischung.
Nun steht mir das Verderben bevor, das ich selbst verschuldet habe. Wenn mir die letzten von meinem Volk verliehenen Fähigkeiten entzogen werden, scheide ich dahin und hinterlasse als Rechtfertigung für mein Leben nur die Tatsache, dass ihr weiterlebt.«
Verdammt! Covenant bemühte sich um eine Antwort. Er hatte vermutet … aber er hatte auch gehofft, seine Vermutung sei falsch.
Schwach protestierte er: »So muss es aber nicht kommen.«
»Wirklich nicht?« Der Insequente wedelte ungläubig mit seinen Bändern. »Wie das, Zeitenherr?«
Covenant bemühte sich um Gegenargumente. »Können deine Leute dich für einen weiteren Dienst am Leben erhalten, können sie dich unendlich lange weiterleben lassen. Sag ihnen, dass wir dich brauchen. Sag ihnen, dass wir ohne dich nicht überleben können. Verdammt noch mal! Sag ihnen, dass sie nicht überleben werden, wenn du uns nicht hilfst. Die ganze Erde …«
»Zeitenherr«, unterbrach der Eifrige ihn sanft tadelnd. »Auch das wäre Spitzfindigkeit. Habe ich nicht von Schicksal und Wasser gesprochen? Die Insequenten würden solche Behauptungen nicht glauben. Das tue ich selbst auch nicht.
Unsere Einschränkungen sind unerlässlich. Ohne sie können wir nicht sein, wer wir sind.«
Ehe sonst jemand Einwände erheben konnte, schloss der Eifrige seine flatternden Bänder eng um sich und verschwand, als hätte er sich in Luft aufgelöst.
… das Verderben, das ich selbst verschuldet habe.
Irgendwann in ferner Vergangenheit hatte Covenant einmal jemanden sagen hören: Kein Verhängnis ist so schwarz und tief, dass Mut und klarer Blick dahinter nicht eine weitere Wahrheit entdecken könnten. Aber er konnte sich nicht vorstellen, wie diese Wahrheit aussehen könnte.
Nach dem Verschwinden des Insequenten musste Covenant zwanghaft an Wasser denken. … in Wasser geschrieben … Strömungen und stehende Tümpel. Die Brustpanzer als Wassergefäße reichten nicht aus. Das konnten sie nicht. Nur die Eisenhand, Graubrand, zwei Haruchai und die Ramen hatten direkt aus dem Bach trinken können, wo immer er war. Wie Covenant - und vermutlich Linden - litten auch die anderen trotz ein paar Schlucken weiter unter quälendem Durst.
Er versuchte sich abzulenken, indem er sich möglichst viel über den Lauerer, die Sarangrave-Senke und die Verwüsteten Ebenen ins Gedächtnis
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