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09-Die Pfade des Schicksals

09-Die Pfade des Schicksals

Titel: 09-Die Pfade des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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unrecht hatte - dass sie im Begriff war, ihren letzten Fehler zu begehen.
    Tief unter ihr bewegte sich eines der schaurigen Übel. Sein Schlaf war gestört. Unweigerlich würde es bald erwachen. Seine Ausstrahlung setzte Linden zu, bis ihre Zuversicht zerrüttet war.
    Als sie, von ihrer alten Lähmung befallen, zögerte, trat Stave näher an sie heran und legte seine Rechte auf ihre Schulter, als könnte er ihren inneren Aufruhr spüren. »In deiner Gesellschaft«, bemerkte er, »und nicht ohne Mühe habe ich gelernt, dass Zweifel wertvoll sein kann.« Er sprach untypisch beiläufig, als versuchte er bewusst, ihre Beklommenheit zu zerstreuen. »Andererseits liegt es in der Natur des Bösen, sich von Angst zu nähren, Misstrauen und Tatenlosigkeit aus Zweifel zu erzeugen. Und das Böse verführt, selbst wenn es schläft. Auserwählte, du musst dein Herz gegen seinen Lockruf verschließen. Sind die Sagen der Lords wahr, haben die Gräuelinger das nicht getan. So haben sie sich mit dem Verhängnis eingelassen.«
    Linden blieb keine andere Wahl: Sie musste sich auf ihren ersten Eindruck verlassen; darauf vertrauen, dass die wirre, sich selbst komplizierende Schwärze der Barriere keine Folge von finsterer Verbitterung und Selbsthass, sondern ein Ausdruck wachsamer Majestät war. Tat sie das nicht, würde sie in lähmender Untätigkeit verharren.
    Mit aller Kraft richtete sie sich auf, nahm die Schultern zurück und sogar eine Hand von dem Stab, um sich das Haar aus der Stirn zu streichen. Dann berührte sie kurz Staves Finger - eine kleine Dankesgeste - und nahm den geschnitzten ebenholzschwarzen Stab wieder in beide Hände. … verschließe dein Herz …
    Leichter gesagt als getan. Ihre Sinne gegen die schläfrige Wildheit des Übels abzuschotten, war schwierig. Aber sie hatte als Chirurgin in der Notaufnahme gearbeitet, war dafür ausgebildet, sich nur auf die Verletzung vor ihr zu konzentrieren. Mit dieser Art Konzentration hatte sie einst Jeremiahs verbrannte Hand operiert. Ohne an irgendetwas anderes zu denken, hatte sie ihm zwei Finger amputiert - und die anderen sowie den Daumen gerettet. Weil sie dies geschafft hatte, konnte er die verbliebenen Finger so geschickt gebrauchen wie ein Taschenspieler.
    Allmählich verlor die Aura des Übels die Kraft, zu stören und zu zerreißen. Strang für Strang konzentrierte Linden ihr Wahrnehmungsvermögen auf das sich windende Geflecht am Eingang zur Verlorenen Tiefe.
    Es war dort, dessen war sie sich sicher. Der entscheidende Knoten, der die Krux oder den Eckstein der Barriere der Gräuelinger bildete, lag in dem Vexiergeflecht des Portals, nicht anderswo. Sonst hätten die Wesen ihr Reich nicht verlassen und wieder betreten können. Irgendwo in dieser nachtschwarzen Masse, die sich wie ein Schlangennest wand - dunkel wie Vipern, flink wie Nattern -, war der eine Theurgiestrang versteckt, der alle anderen unschädlich machen würde.
    Als sensorische Herausforderung war Lindens Aufgabe entmutigend, schien gar unmöglich zu sein. Außer dass die Barriere wimmelte, war sie eigenartig formlos: Sie wies keine Begrenzungen oder Unterteilungen auf; keine Formen außer denen von Strängen in steter Bewegung. Alle ihre Andeutungen führten zu Verwirrung.
    Aber als Linden ihre Ängste überwand, zeigte sich, dass sie nicht ganz ohne Ressourcen war. Ihre Begegnung mit den Gräuelingern hatte ihren Gesundheitssinn geprägt. Sie hatte ihre unheimliche Parästhesie kennengelernt. Sie konnte die Bedeutung der Stränge nicht erkennen; aber sie konnte hören, dass sie eine besaßen. Sie konnte die strikte Oberhoheit riechen, die sie bei ihrer Erschaffung durchdrungen hatte. Als sie ihre Sinne öffnete, konnte sie fast die nachlässige Gewandtheit schmecken, mit der die Gräuelinger diese Barriere errichtet hatten, die sie für eine triviale und weitgehend überflüssige Vorsichtsmaßnahme gehalten hatten.
    Nun wusste sie wenigstens bestimmt, dass der Egger sich getäuscht hatte. Geruch und Geschmack der Barriere drückten weder Zorn noch den Wunsch aus, jemandem zu schaden. Die Gräuelinger hatten sie aus Vorsicht, nicht aus Angst oder Hass errichtet.
    Linden, die den Stab nur dazu benutzte, ihre Wahrnehmung zu schärfen, streckte langsam eine Hand aus und ließ sie leicht über die Oberfläche des schwarzen Gewimmels gleiten. Durch diese Berührung hörte sie auf das Wissen, das diese Sperren geschrieben hatte.
    Es sprach keine Sprache, die Linden verstand. Das unbeschreibliche Wissen der

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