Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
09-Die Pfade des Schicksals

09-Die Pfade des Schicksals

Titel: 09-Die Pfade des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
Vom Netzwerk:
widerstrebte es, ihn zu verlassen. Auf irgendeine metaphysische Weise hatte Jeremiah hier ein Abbild seines Herzens gefunden. Sie wollte jede Linie, alle Winkel und Kanten des Schlosses genau betrachten, bis sie verstand, was ihr bisher verborgen geblieben war; bis sie wusste, wie sie Jeremiah von seinen Qualen befreien konnte. Eine unmögliche Hoffnung. Wie die Flecken auf ihren Jeans war der Text, den das Schloss verkörperte, nicht zu entziffern. Auch wenn sie ihn jahrelang studierte, würde er ihr nichts verraten - und ihr blieben keine Jahre. Die ihr verbleibende Zeit ließ sich bestenfalls in Tagen messen.
    Zornig beschleunigte sie ihren Schritt.
    Nachdem sie nun in Bewegung waren, holten die Riesinnen und der Eifrige hinter ihnen sie mühelos ein. Mit ihren Gefährten schritt Linden auf dem Weg zur jenseitigen Wand des Saales zwischen den äußeren Türmen hindurch.
    Vor ihr taten sich mehrere Gänge auf, alle mit pulsierendem Leuchten angefüllt. Hinter manchen lagen schmale Korridore, die sich bald außer Sicht schlängelten; andere waren fast so hoch wie die Vorhalle von Schwelgenstein und schienen endlos weit durch leuchtenden Fels zu führen. Der Egger wählte einen davon, ohne im Geringsten zu zögern, und führte sie eilig hinein.
    Bei jedem seiner Schritte berührte der Stab des Gesetzes den Fels und ließ kleine irisierende Wölkchen aufsteigen. Linden glaubte, die Atemzüge ihrer Freunde mehr zu spüren als zu hören. Statt Luft atmeten sie Farben und Düfte.
    Der Gang führte in einen weiteren Saal, der kleiner als der erste, aber dennoch rund und weitläufig genug war, um Platz für einen Akazien- oder Jacaranda-Hain zu bieten - und hoch genug, um Zedern aufnehmen zu können. Seine riesige Größe ließ die in seiner Mitte aufragenden dunklen Felsen kleiner erscheinen, als sie in Wirklichkeit waren. Über einem niedrigen Sockel aus unbearbeitetem Basalt ragte zerklüfteter Fels auf: knorrig und unheimlich. Der Sockel bildete zwei Seitenteile, die lückenhaft mit Zähnen besetzten Kiefern glichen. Und zwischen ihnen schien es einen Sitz zu geben, als wäre die gesamte Felsformation in Wirklichkeit ein Thron.
    Innerhalb der Perfektion der Saalwände wirkte der aufgerichtete Fels verstümmelt, verkrüppelt durch Bosheit oder Gleichgültigkeit.
    Linden konnte sich nicht vorstellen, was die Gräuelinger dazu gedrängt hatte, dieses Gebilde zu erschaffen, aber sie fragte den Egger nicht nach einer Erklärung. Sie fühlte sich davon abgestoßen. Es schien zu stinken wie ein Misthaufen. War es wirklich eine Skulptur, verkörperte sie steingewordene Verachtung.
    Zum Glück hastete der Egger mit großen Schritten an Kiefern und Sitz vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Wieder ohne zu zögern entschied er sich für einen Gang hinter dem Thron und verschwand so rasch darin, als wollte er sich von dem üblen Felsgebilde distanzieren.
    Aus unerklärlichen Gründen zitterte Linden und war froh darüber, dass Stave und Liand sie weiterhin an den Armen hielten; dann folgten sie dem Insequenten.
    Dieser Korridor war gerade, nichtssagend und lang - lang genug, um Linden erkennen zu lassen, dass ihr Sehvermögen irgendwie zu verschwimmen schien. Das Leuchten des Steins wurde weniger eine Sache des Gesichtssinns und mehr eine fließende Serie von Empfindungen auf ihrer Haut: kurze Liebkosungen zart wie Küsse; kleine Kratzer, die nicht schmerzten; ein Kitzeln wie von Federn, mehrfach ein warmer Atemhauch. Die Farben glichen einem Murmeln ihrer Gefährten. Wie der Egger und ihr Stab wirbelte auch Linden bei jedem Schritt dünne Staubwolken auf.
    Erneut verfiel Linden in eine Parästhesie: eine durch das unberechenbare Erbe der Gräuelinger ausgelöste neurale Verwirrung. Überreste ihrer Lehre existierten noch; bald würde Linden dem Egger durch Schmecken und Riechen, aber auch durch dünne Schleier aus leuchtendem Nebel folgen müssen. Auf heimtückische Weise wurde sie in die Irre geführt - fort von allem Kontakt mit einer gewöhnlichen Existenz.
    Ohne Gesundheitssinn konnte Linden nicht beurteilen, wie die verbliebene Theurgie der Gräuelinger sich auf ihre Gefährten auswirkte. Sie hatte ihnen nur wenig von ihrer arrangierten Konfrontation mit den Schöpfern der Dämondim erzählt: Worte reichten nicht aus, um die von den Gräuelingern ausgelöste Desorientierung zu beschreiben. Erstaunlicherweise blieb Staves Hand an ihrem Oberarm ebenso ruhig wie die Liands. Irgendwie schafften es die beiden, sich nicht

Weitere Kostenlose Bücher