09 - Old Surehand III
der Seite des Tales, sondern unter freiem Himmel in der Mitte desselben und fanden endlich eine Stelle, welche wir für passend hielten.
Es lagen da mehrere große Felsstücke so beisammen, daß sie zwischen sich einen von drei Seiten eingeschlossenen Platz bildeten, welcher Raum genug für uns und unsere Pferde bot. Es war also nur die freie, vierte Seite zu bewachen. Die Lücken zwischen den Felsen waren mit Brombeerstauden ausgefüllt, zwischen denen es eine Menge vertrockneten Grases gab. Da dergleichen Orte von Schlangen aufgesucht zu werden pflegen, steckten wir das Gras in Brand, welcher sich schnell über das ganze Gedorn verbreitete und uns erlaubte, unsern heutigen Aufenthalt auf das genaueste zu untersuchen. Es waren wirklich mehrere Schlangen dagewesen; wir sahen sie vor dem Feuer fliehen und erschlugen sie. Jetzt hatten wir reines Lager und konnten uns sorglos niederlassen. Zwei mußten wachen. Ich sollte meiner Wunde wegen wieder davon ausgenommen werden, gab dies aber nicht zu und übernahm mit Hammerdull die erste Wache, welche zwei Stunden zu dauern hatte.
Wir setzten uns miteinander an die offene Seite der Felsen und legten die Gewehre griffbereit neben uns. Während die Gefährten sich nur kurze Zeit unterhielten und dann einschliefen, erzählte ich dem Dicken, was wir bei den Utahs belauscht hatten. Dann ging ich nach einem nahen Gebüsch, um die jungen Zweige desselben den Pferden als Futter zu holen. Darüber verging die Zeit, und als unsere zwei Stunden um waren, weckten wir Apanatschka und Holbers, welche nach uns kamen. Die nächste Wache sollte Schahko Matto mit Treskow übernehmen, während die vierte den Apachen allein traf. Winnetou war mehr als genug, für unsere Sicherheit zu sorgen.
Ich wäre sehr gern eingeschlafen, brachte es aber nicht fertig. Nicht, daß ich das Wundfieber wieder gehabt hätte, nein, aber mein Puls ging doch schneller als gewöhnlich, warum, das konnte ich nicht sagen. Es mußte doch an der Wunde liegen. Die beiden Wächter saßen grad da, wo ich mit Hammerdull gesessen hatte, und sprachen leise miteinander. Das Knuspern der Pferde an den Zweigen und zuweilen ein Stampfen der Hufe waren die einzigen Geräusche, welche die nächtliche Stille unterbrachen. Über uns glänzten die Sterne noch heller als vorher; die Felsen und die zwischen ihnen befindlichen Personen und Pferde waren deutlich zu erkennen.
Da sah ich, daß Winnetous Rappe seinen auf das Futter niedergesenkten Kopf mit einer raschen, auffälligen Bewegung in die Höhe hob. Gleich darauf bemerkte ich bei dem meinigen genau dieselbe Bewegung. Beide Pferde ließen ein ängstliches Schnauben hören und stellten sich so, daß ihre Hinterbeine mir zugerichtet waren. Sie witterten eine Gefahr, und zwar nahte sich dieselbe von daher, wo ich lag. Ein Mensch konnte es nicht sein, denn da wäre das Schnauben der Pferde ein leiseres, warnendes und nicht ein so ängstliches gewesen. Ich horchte.
Ich lag an einer Lücke zwischen den Felsen, die erst mit Dornen ausgefüllt gewesen, seit dem Brande aber offen war; sie hatte glücklicherweise nur eine so geringe Breite, daß man mit dem Arm hindurchlangen konnte. An dieser Lücke begann es jetzt draußen zu kratzen und zu scharren, so laut und kräftig, wie kein Mensch es vermocht hätte, und zugleich war jenes fauchende Schnüffeln zu hören, welches ich so gut kannte, daß ich augenblicklich aufsprang, nach dem Bärentöter griff und dem Häuptling der Komantschen leise zuraunte:
„Apanatschka, ein Bär! Aber seid still, ganz still, und kommt näher heran!“
Der feinhörige Winnetou hatte im Schlaf mein Aufspringen bemerkt. Schon stand er neben mir, die Silberbüchse in der Hand.
„Ein Bär am Felsen hinter uns!“ unterrichtete ich ihn.
Die andern schliefen weiter; sie hatten nichts gehört, und wir hielten es für besser, sie nicht zu wecken, da sie vielleicht Lärm gemacht hätten, wenigstens von Treskow war dies zu erwarten.
Apanatschka war mit Holbers zu uns herangekommen; sie hatten die Hähne gespannt. Winnetou gab ihnen die Weisung:
„Ihr dürft nur im Notfall schießen. Für den Grizzly ist das Gewehr Old Shatterhands das beste; er hat also die zwei ersten Schüsse; dann erst komme ich dran. Ihr schießt nur, wenn ich es euch sage!“
Holbers zitterte vor Aufregung. Seine Stimme bebte, als er fragte:
„Wird er etwa über den Felsen geklettert kommen?“
„Nein“, antwortete ich. „Er wird ganz gewiß – ah, da ist er schon! Seid still!
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