09 - Old Surehand III
vergeblich nach dem Kugelloch, und als man schließlich die zwei hart aneinander liegenden Stiche sah und zur Erkenntnis kam, daß er nicht erschossen, sondern erstochen worden war, legte sich der vielstimmige Lärm, und es trat eine um so auffälligere Stille ein, während welcher alle Augen groß und staunend auf den weißen Jäger gerichtet waren.
Bei den Indianern gilt die Erlegung eines grauen Bären für die größte Heldentat. Wer einen Grizzly ohne Hilfe anderer getötet hat, wird bis an seinen Tod und noch darüber hinaus gefeiert und hat nach dem Häuptling die erste Stimme in der Versammlung der alten Krieger, mag er auch noch so jung sein. Da die Capote-Utahs bekanntlich sich nicht durch hervorragend kriegerische Eigenschaften auszeichnen, mußte der Sieg über einen Grizzly bei ihnen noch viel höher geschätzt werden als bei andern, sich durch größere Tapferkeit auszeichnenden Stämmen. Und nun lagen gar vier Felle hier anstatt eines einzelnen! Und unter diesen gab es die Haut eines wahrhaft riesigen Tieres, welches mit dem Messer erlegt worden war! Kein einziger der Capote-Utahs hätte gewagt, mit dem bloßen Messer auf einen viel, viel kleineren grauen Bären loszugehen! Daher die plötzlich eingetretene Stille, während welcher alle dreiundfünfzig Augenpaare auf Old Surehand gerichtet waren.
Dieser tat, als sehe er das gar nicht, zog ein Stück gebratenes Fleisch aus der Tasche und begann, es zu verzehren. Da fragte der Häuptling:
„Ist dieses Fleisch von einem dieser Bären?“
„Ja“, antwortete der Gefragte.
„Zum Braten muß man Feuer haben!“
„Natürlich!“
„Wir haben alle Taschen Old Surehands leer gemacht; er hat weder Punks (Präriefeuerzeug) noch etwas anderes, womit man ein Feuer anzünden kann!“
„Auch das ist richtig!“
„Und doch hat er ein Feuer gehabt?“
„Ja.“
„Wie hat er es anbrennen können?“
Tusahga Saritsch war mißtrauisch geworden. Old Surehand antwortete:
„Die roten Männer kennen nicht die Wissenschaften der Bleichgesichter. Der Weiße braucht weder Punks noch Hölzer mit Schwefel. Hat Tusahga Saritsch noch nicht gehört, daß man mit Stahl und Stein Feuer machen kann?“
„Das weiß ich.“
„Nun, Stahl ist meine Messerklinge, und Feuerstein habe ich unten bei den Felsen gefunden. Zunder steckt in jedem hohlen Baum genug.“
„Uff! Das ist wahr! Schon dachte ich, Old Surehand habe andere Leute gefunden, Bleichgesichter, welche ihm Feuer gegeben haben. Aber die Bleichgesichter haben nicht den Mut, das ‚Bärental‘ zu betreten!“
„Das ist eine Unwahrheit. Den Indianern aber fehlt dieser Mut!“
„Willst du mich wieder beleidigen?!“
„Pshaw! Bin ich unten gewesen, oder habt ihr es gewagt, hinabzusteigen? Bin ich ein Indianer, und seid Ihr Weiße? Wer hat den Mut besessen, ich oder ihr, die ihr über fünfzig seid, und ich bin allein?“
„Schweig! Das Urteil, hinunterzugehen, hat dich getroffen, aber nicht uns. Wir haben keinen Grund, dahin zu gehen, wohin wir nicht zu gehen brauchen. Wie hast du es angefangen, vier Bären zu finden?“
„Ich habe Augen!“
„Und sie zu erlegen?“
„Ich habe ein Gewehr und ein Messer!“
„Und die schweren Felle hier heraufzutragen?“
„Ich habe Schultern und Arme!“
„Aber kein Mensch kann diese vier schweren Felle tragen.“
„Auf einmal nicht. Wer hat denn behauptet, daß ich das getan habe?“
„Konntest du es anders machen?“
„Natürlich! Kann ich sie nicht einzeln heraufschaffen?“
„Uff! Das ist wahr. Wir werden sehen, ob du morgen noch einen Bär erlegst!“
„Noch einen? Wer verlangt das?“
„Ich.“
„Warum?“
„Es ist ein sehr kleiner dabei; der gilt nichts!“
„Desto größer ist der alte Grizzly gewesen.“
„Das gilt nichts, daß er größer ist. Bär ist Bär!“
„Da bin ich einverstanden. Bär ist Bär; auch der kleine war ein Bär und hat also als ein Bär zu gelten. Ich habe vier Felle gebracht!“
„Darüber habe ich allein zu bestimmen, nicht aber du! Schweig also!“
Mit diesen Worten leitete er, ohne zu ahnen, eine Entscheidung ein, die ihn noch mehr in Aufregung bringen mußte als der Anblick der Bärenfelle. Old Surehand antwortete ihm im ruhigsten Ton:
„Meinst du wirklich, daß Old Surehand der Mann ist, welchem du Schweigen gebieten darfst, wenn er sprechen will? Ich rede, wenn ich will, und ich tue, was ich will. Du hast mir nichts zu befehlen!“
„Nicht? Bist du nicht mein
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