09 - Old Surehand III
einer von den Propheten! Euer Vater scheint ein sehr frommer, bibelfester Mann gewesen zu sein! Oder etwa nicht?“
„Nicht daß ich wüßte. Er war ein sehr gescheiter Kerl, der sich von den Pfaffen nichts weismachen ließ, und ich bin nach ihm geraten.“
„So war aber wohl Eure Mutter eine gläubige Frau?“
„Leider ja.“
„Warum leider?“
„Weil sie mit ihrem Beten und Plärren dem Vater das Leben so verbittert hat, daß er sich gezwungen sah, es sich durch den Brandy zu versüßen. Es ist eben unmöglich, daß ein kluger Mann es bei einer Betschwester aushalten kann; er läßt sie daheim sitzen und geht in das Wirtshaus. Das ist ja das beste, was er tun kann!“
„Ah! Er hat es sich wohl so lange versüßt, bis es ihm zu süß wurde?“
„Ja; er bekam es überdrüssig, und als er eines schönen Tages sah, daß er einen Strick zu viel besaß, der zu nichts anderem zu gebrauchen war, hing er ihn auf einen Nagel, machte eine Schlinge und steckte den Kopf hinein, und zwar so lange, bis er abgeschnitten wurde.“
Es zuckte mir in den leider gefesselten Händen, als ich diesen Kerl hinter mir in dieser zynischen Weise von dem Tode seines selbstmörderischen Vaters sprechen hörte. Hammerdull hütete sich, eine hier freilich sehr unnütze sittliche Entrüstung zu zeigen und etwa zu sagen, daß sich selbst der verkommenste Indianer schämen würde, derart von seinem toten Vater zu reden; er verfolgte den heimlichen Zweck dieses Gespräches weiter, indem er lachend fortfuhr:
„Ja, es gibt freilich nur ganz seltene Fälle, daß jemand, der die Angewohnheit hat, den Kopf in solche Schlingen zu stecken, sie sich wieder abgewöhnen kann. Aber, Mr. Holbers, wenn ich mich recht entsinne, so sagtet Ihr vorhin, daß Ihr nach Eurem Vater geraten seid?“
„Ja, das sagte ich.“
„So hütet Euch vor ähnlichen Stricken!“
„Pshaw! Wenn ich ihm in allem ähnlich bin, in dieser Beziehung sicher nicht. Das Leben ist so schön, daß ich es mir so lange wie möglich zu erhalten suchen werde. Wenigstens wird es mir nie einfallen, den Kopf in eine Schlinge zu stecken. Ich wüßte auch nicht, warum; ich hätte gar keine Veranlassung dazu, da ich nicht so dumm gewesen bin, mir ein immer betendes und ewig plärrendes Weib zu nehmen.“
„Ich bleibe trotzdem bei meiner Warnung! Es soll ja vorkommen, daß jemand an einem Strick hängenbleibt, ohne daß er selbst auf den Gedanken gekommen ist, den Kopf hineinzustecken. Meinst du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon, daß dies vorgekommen ist und auch wieder vorkommen kann?“
„Hm! Wenn du denkst, daß es vorgekommen ist, so gebe ich das zu; wenn du aber meinst, daß es sich auch wieder ereignen kann, so gebe ich dir doppelt recht. Dieser Namensvetter von mir, der ein so kluger Mann wie sein Vater ist, wird mich wahrscheinlich verstehen.“
„Zounds!“ rief da der Tramp. „Soll das etwa eine zarte Anspielung auf das Gehängtwerden sein?“
„Warum nicht?“ fragte Hammerdull.
„Weil ich mir solche Scherze verbitte!“
„Ich sehe nicht ein, wie Ihr da gleich in Zorn geraten könnt. Wir haben doch nur im allgemeinen sagen wollen, daß es Stricke gegeben hat und auch jetzt noch gibt, an denen man, ohne es eigentlich zu wollen, ganz unerwartet hängenbleiben kann, und wenn ich Euch vor solchen Stricken gewarnt habe, so konnte das doch nur gut gemeint sein!“
„Danke sehr! Solche Warnungen sind bei mir nicht nötig!“
„Well! Um aber wieder auf Eure Mutter zu kommen, so möchte ich gern wissen, ob sie außer ihrer Frömmigkeit nicht auch noch andere Eigenschaften besessen hat, die Euch im Gedächtnis geblieben sind.“
„Andere Eigenschaften? Ich verstehe Euch nicht. Wie meint Ihr das?“
„Nun, so in erziehlicher Beziehung. Fromme Leute pflegen streng zu sein.“
„Ach so!“ lachte der Tramp, der von dem Gedankengang Hammerdulls keine Ahnung hatte. „Leider ist das richtig, was Ihr sagt. Wenn sich alle braunen und blauen Flecke, die Euch dies beweisen könnten, noch auf meinem Rücken befänden, könnte ich mich vor Schmerz nicht hier auf meinem Pferd erhalten.“
„Ach, so war ihre Erziehungsweise also eine sehr eindringliche?“
„Ja, sie drang oftmals durch die Haut.“
„Auch bei Joel, Eurem Bruder?“
„Ja.“
„Lebt der noch?“
„Freilich; der denkt gar nicht daran, schon tot zu sein!“
„Wo befindet er sich gegenwärtig, mit den schönen Erinnerungen auf dem Rücken und höchstwahrscheinlich auch auf anderen
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