09 - Vor dem Tod sind alle gleich
ist.«
»Nein«, gab Eadulf zu und half ihnen auf. Sie stampften mit den Füßen, um das Blut in Bewegung zu bringen. Eadulf überlegte angestrengt. Nach Fearna konnte er die beiden Mädchen kaum mitnehmen. Dann erinnerte er sich plötzlich daran, was Dalbach ihm über die Gemeinschaft auf dem Gelben Berg erzählt hatte.
»Kennt eine von euch diese Gegend hier?« fragte er die Mädchen.
Beide schüttelten den Kopf.
»So weit im Süden war ich noch nie«, erklärte Muirecht.
»Es gibt einen Berg, der heißt Gelber Berg«, sagte Eadulf. »Er liegt westlich von hier, oberhalb von Fearna. Ich habe gehört, auf ihm steht eine Kirche, die der heiligen Brigitta geweiht ist. Dort könnt ihr Zuflucht finden, bis entschieden wird, was das beste für euch ist. Seid ihr bereit, mich dahin zu begleiten?«
Die beiden wechselten wieder einen Blick. Muirecht zuckte fast gleichgültig die Achseln.
»Was sollen wir sonst machen. Wir gehen mit dir. Wie heißt du, Fremder?«
»Mein Name ist Eadulf. Bruder Eadulf.«
»Dann hatte ich recht. Du bist doch ein Ausländer«, triumphierte Muirecht.
Eadulf lächelte wehmütig. »Ein Reisender auf dem Wege durch dieses Königreich«, meinte er mit trockenem Humor.
Als eine Schar Krähen in dem Tal unter ihnen ein mißtönendes Konzert anstimmte, blickte Eadulf besorgt hinunter. Etwas störte die Vögel, etwas oder jemand. Es wäre nicht gut, länger zu verweilen.
»Ich glaube, der Mann, auf den euer Gefangenenwärter wartete, nähert sich. Wir müssen so schnell fort, wie wir können.«
Kapitel 17
Fidelma hatte Äbtissin Fainder, auf die Enda aufpaßte, auf dem Lukendeckel sitzen lassen und war in Gabráns Kajüte zurückgekehrt. Sie blieb an der Tür stehen und zwang sich dazu, den blutigen Schauplatz zu betrachten. Der Flußschiffskapitän war mindestens ein halbes dutzendmal in die Brust und die Arme gestochen worden. Ohne Zweifel war es ein blindwütiger Angriff gewesen. Vorsichtig, um ihre Kleidung nicht mit Blut zu beflecken, trat sie neben die Leiche und untersuchte sie sorgfältig.
Die schlimmste Wunde war ein Schnitt durch die Kehle, als ob der Angreifer das Messer nach oben gestoßen und die ganze Länge der Klinge durch die Kehle geführt hatte. Die anderen Wunden an Brust und Armen waren anscheinend wahllos mit der Spitze des Messers beigebracht worden. Sie wiesen kein erkennbares Muster auf und hatten keine lebenswichtigen Körperteile verletzt. Der Stoß in die Kehle hingegen war allein schon tödlich, denn er hatte die Schlagader durchtrennt. Alle anderen Stiche zeugten von blinder Gewalt.
War Äbtissin Fainder einer solchen Tat fähig? Nun, jeder Mensch war unter entsprechenden Umständen zur Gewaltanwendung in der Lage, das wußte Fidelma. Aber welche Wut hatte Fainder getrieben? Während sie noch darüber nachgrübelte, wurde ihr klar, daß sie etwas betrachtete, ohne es richtig zu erfassen. Sie konzentrierte sich. Der Schnitt durch die Kehle stammte nicht von einem Messer. Jedenfalls bestimmt nicht von der kleinen Klinge, die der Äbtissin aus der Hand gefallen war.
Fidelma zwang sich dazu, näher heran zu gehen. Diesen Schnitt hatte ein Schwert ausgeführt. Daran gab es für sie keinen Zweifel, denn der nach oben gerichtete Stoß hatte nicht nur das Fleisch zerfetzt, sondern seine Wucht hatte auch die Kinnlade zerschmettert und ein paar Zähne aus dem Unterkiefer gebrochen. Eine solche Wunde erforderte einen kraftvollen Stoß.
Innerlich tadelte sie sich dafür, daß sie das nicht gleich bemerkt hatte. Sie blickte sich um, konnte jedoch keine Waffe entdecken, die diese schreckliche und tödliche Wunde hätte schlagen können. Sie nahm das kleine Messer, das die Äbtissin in der Hand gehalten hatte, und verglich seine Klinge mit dem halben Dutzend Einstichen in der Brust und den Armen des Mannes. Es war sofort ersichtlich, daß man mit dieser Waffe die unwesentlichen Wunden beibringen konnte, nicht aber die tödliche.
In ihrer gebückten Haltung fiel ihr noch etwas auf, das sie sonst leicht übersehen hätte. Es war ein kleines Büschel Haare. Der Vergleich ergab, daß es von Gabráns Kopf stammte. Jemand mußte es gepackt und ausgerissen und dann fallen gelassen haben. An den Haarwurzeln klebte noch Blut.
Sie legte das Messer wieder hin und stand auf. Als sie zurücktrat, stieß sie mit dem Fuß gegen ein Stück Metall, das klirrend über die Planken schrammte. Sie blickte hinunter, und ihre Augen weiteten sich. Es war ein Paar Handschellen, klein und
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