09 - Vor dem Tod sind alle gleich
gegen einen gefesselten Mann an, noch dazu einen Mann des Glaubens!«
Da hörte Eadulf eine vertraute Stimme.
»Der Angelsachse hat allen Glauben verloren, dem er einmal anhing, Bruder Martan. Doch du hast recht, wenn du Bruder Cett ermahnst. Du brauchst einen Todgeweihten nicht so grob zu behandeln, Bruder. Gott wird ihn strafen, bevor der Tag vergangen ist.«
Eadulf wandte sich um, und das bleiche Gesicht Abt Noés bot sich seinem umflorten Blick dar. Eadulf war sich seiner hoffnungslosen Lage bewußt und rang sich ein schmerzverzerrtes Lächeln ab.
»Deine christliche Nächstenliebe macht dir alle Ehre«, keuchte er mühsam.
Abt Noé trat einen Schritt vor und musterte ihn sorgfältig, doch seine Miene blieb ausdruckslos.
»Vor den Feuern der Hölle gibt es kein Entkommen, Angelsachse.« Sein Ton war feierlich.
»Das habe ich auch gehört. Wir alle haben uns eines Tages für unsere Missetaten zu verantworten, Könige und Bischöfe – und sogar Äbte.«
Abt Noé lächelte nur, wandte sich um und verließ die Zelle.
König Fianamail wurde ungeduldig. Er schaute zum Fenster der Zelle hinaus und sah, daß die Dunkelheit schwand. In einer Stunde würde der Tag anbrechen. Bruder Martan bemerkte seinen unruhigen Blick.
»Brecht ihr sofort nach Fearna auf?« fragte er.
»Oder kehrt ihr erst zur Jagdhütte zurück?«
»Wir warten hier bis zur Morgendämmerung und reiten dann direkt nach Fearna«, erwiderte der König.
»Leider haben wir kein weiteres Pferd für euren Gefangenen«, entschuldigte sich der Klostervorsteher.
Fianamails Miene verdüsterte sich.
»Der Angelsachse braucht keins. Draußen vor dem Tor steht ein guter, starker Baum. Er ist unserer Gerechtigkeit zweimal entgangen. Ein drittes Mal entkommt er uns nicht. Wir hängen ihn, bevor wir fortreiten.«
Eadulf überlief es kalt, doch er bemühte sich, die Umstehenden seine Gefühle nicht merken zu lassen. Er zwang sich zu lächeln. Jeder mußte schließlich einmal sterben, war es nicht so? In diesen letzten Wochen hatte ihm ständig der Tod gedroht, wenn er auch gehofft hatte, durch Fidelmas Ankunft gäbe es eine Möglichkeit, daß die Wahrheit ans Licht käme. Fidelma! Wo war sie? Er wünschte, er könnte sie noch einmal in dieser Welt sehen.
»Geht das nach dem Gesetz?« Bruder Martan sah den König von der Seite an.
Fianamail drehte sich unwillig ihm zu.
»Nach dem Gesetz?« fragte er drohend. »Der Mann hat sein Urteil bekommen. Er sollte schon gehängt werden, als er entfloh. Natürlich ist das legal! Ich handle als Vertreter des Gesetzes. Bruder Cett wird sich um die Ausführung kümmern, und wenn du moralische Bedenken hast, Bruder Martan, dann solltest du dich an den Abt wenden.«
Bruder Cett grinste Eadulf säuerlich an, während Bruder Martan die Zelle verließ.
»Und jetzt«, fuhr Fianamail fort, »will ich frühstücken, denn der Morgen ist kalt, und ich habe Hunger. Vor dem Morgengrauen aufstehen und Geächtete jagen müssen ist eine anstrengende Angelegenheit.« Er zögerte, als sei ihm gerade etwas eingefallen. »Übrigens, wir nehmen auch die beiden jungen Mädchen mit nach Fearna. Unter diesen Umständen haben sie in der Abtei eine bessere Aussicht auf ein gutes Leben, als wenn sie nach Hause gingen oder in der Gegend herumwanderten.«
Bruder Cetts sadistische Miene wurde noch breiter.
»Es soll geschehen, wie du sagst.«
Die Tür der Zelle schlug zu, und Fianamail und der stämmige Bruder Cett ließen Eadulf allein den Beginn seines letzten Tages betrachten.
*
Die Pferde trabten in Zweierreihe auf Fearna zu. Dego ritt neben Fidelma, es folgten Coba und Enda nebeneinander, und hinter ihnen saß Fial auf demselben Pferd wie Mel, der neben Äbtissin Fainder ritt. Bischof Forbassach hatte sich dahinter eingeordnet. Die Spitze und den Schluß bildeten Krieger aus der Leibgarde König Fianamails. Es war kalt und dunkel, doch die führenden Reiter kannten anscheinend den Weg von Cam Eolaing nach Fearna gut und legten ein gleichmäßiges Tempo vor. Dego schaute Fidelma an.
»Warum hast du Coba überredet, sich zu ergeben, Lady?« fragte er. Sein Ton war etwas mürrisch. Die Frage war ihm durch den Kopf gegangen, seit Fidelma den bó-aire gedrängt hatte, den Kriegern, die Forbassach mitgebracht hatte, keinen Widerstand zu leisten. Für Dego war es die erste Gelegenheit seit jenen hektischen Augenblicken, die Frage zu stellen, und er tat es leise, um nicht von den Wachen gehört zu werden.
»Wir hätten mit dem Bischof und
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