09 - Vor dem Tod sind alle gleich
kritisieren. Das solltest du doch wissen.«
Fidelma mußte zugeben, daß das stimmte und sie es übersehen hatte. Nur ein Richter von höherem oder gleichem Rang konnte das Urteil eines anderen Richters aufheben. Doch wenn Forbassach in diesem Fall urteilte, wäre das eine weitere Ungerechtigkeit.
»Ich hatte gehofft, Forbassach hätte den Rat anderer Richter eingeholt. Ich sehe hier nur Forbassach sitzen und nicht einmal einen ausgebildeten dálaigh, der mit ihm das Beweismaterial beurteilen könnte. Wie kann ein Richter über seine eigenen Urteile befinden?«
»Ich werde deine Einwände berücksichtigen, Fidelma, wenn du sie zu Protokoll geben willst.« Bischof Forbassach lächelte triumphierend. »Jedoch kann ich als Brehon von Laigin niemand anderem das Recht zubilligen, den Vorsitz in diesem Gerichtshof zu führen. Sollte ich davon zurücktreten, könnte man behaupten, daß ich damit zugäbe, in diesem Fall befangen zu sein. Solche Einwände von dir werden abgelehnt. Nun möchte ich dein Plädoyer hören.«
Fidelmas Mund wurde schmal, und sie blickte hinüber zu Dego, der als verwirrter Zuhörer im Hintergrund saß. Er fing ihren Blick auf und verzog tröstend das Gesicht. Ihr war nun klar, daß man schon voreingenommen gegen sie war, noch ehe sie ihr Plädoyer begonnen hatte. Es blieb ihr nichts weiter übrig, als so gut zu argumentieren, wie sie nur konnte.
»Brehon von Laigin, ich lege bei dir förmliche Berufung ein mit dem Ziel, die Hinrichtung Bruder Eadulfs, des Angelsachsen, aufzuschieben, bis eine ordentliche Untersuchung und eine neue Verhandlung stattgefunden haben.«
Forbassach betrachtete sie mit unverändert säuerlicher Miene. Fidelma kam seine Haltung beinahe verächtlich vor.
»Eine Berufung muß sich auf Beweise stützen, daß es bei der ersten Verhandlung Unregelmäßigkeiten gegeben habe, Fidelma von Cashel«, bemerkte Forbassach trocken. »Wie begründest du deine Berufung?«
»Es gab verschiedene Unregelmäßigkeiten bei der Vorlage der Beweise im Laufe der Verhandlung.« Forbassachs Miene wurde noch unangenehmer.
»Unregelmäßigkeiten? Zweifellos unterstellst du, daß solche Unregelmäßigkeiten darauf zurückzuführen sind, daß ich den Vorsitz bei der Verhandlung führte?«
»Ich weiß sehr wohl, daß du den Vorsitz bei der Verhandlung führtest, Forbassach. Ich habe bereits meinen Einwand dagegen erhoben, daß du dein eigenes Verhalten beurteilst.«
»Was wirfst du mir also vor? Was genau?« Sein Ton war kalt und drohend.
»Ich werfe dir überhaupt nichts vor, Forbassach. Du solltest dich im Recht genügend auskennen, um meine Worte nicht falsch zu interpretieren«, fauchte Fidelma. »Eine Berufung besteht lediglich darin, dem Gericht Tatsachen vorzulegen und Fragen zu stellen. Die Antworten hat das Gericht zu suchen.«
Bei dieser spitzen Entgegnung zogen sich Bischof Forbassachs Augen zusammen.
»Dann laß uns deine sogenannten Tatsachen hören, und deine Fragen darfst du auch stellen, dálaigh. Es soll nicht heißen, ich sei kein fairer Richter.«
Fidelma hatte das Gefühl, gegen eine Mauer von Granit anzurennen, und bemühte sich um innere Festigkeit.
»Ich lege Berufung ein aufgrund juristischer Unregelmäßigkeiten. Dazu nenne ich die folgenden Punkte.
Erstens diente Bruder Eadulf als Gesandter zwischen König Colgú von Cashel und dem Erzbischof Theodor von Canterbury. Er genoß den Schutz und die Vorrechte, die mit diesem Rang verbunden sind. In dem Verfahren wurde dieser Rang nicht berücksichtigt. Er führte einen Brief und den weißen Amtsstab eines ollamh, eines Königsboten, bei sich, der nicht gerichtlich verfolgt werden darf.«
»Ein weißer Amtsstab? Eine Botschaft?« Bischof Forbassach schien belustigt. »Sie wurden in der Verhandlung nicht vorgelegt.«
»Bruder Eadulf wurde dazu keine Gelegenheit gegeben. Ich lege sie jetzt vor…« Fidelma wandte sich um und nahm die Gegenstände von der Bank, auf die sie sie getan hatte. Sie hielt sie zur Prüfung hin.
»Nachträgliche Beweise sind keine Beweise«, lächelte Bischof Forbassach. »Deine Beweise sind unzulässig. Wenn du solche Stücke aus Cashel mitbringst…«
»Ich fand sie im Gästehaus der Abtei, wo Bruder Eadulf sie gelassen hatte«, erwiderte Fidelma voller Zorn über Forbassachs Versuch, sie abzuweisen.
»Woher sollen wir das wissen?«
»Schwester Étromma war bei mir, als ich sie in der Matratze des Bettes entdeckte, das sie mir als das von Bruder Eadulf benutzte gezeigt
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