090 - Die Totenwache
Sarkophagdeckel. Der Skelettkrieger senkte den Kopf und kauerte sich langsam nieder. Wieder verharrten die beiden völlig reglos.
„Ys-Dahut - du darfst mich nicht verlassen!"
Norman war völlig verzweifelt.
Die beiden Gangster stürmten zwischen den Regalen auf den Ausgang zu. Der eine fuchtelte wild mit seiner Pistole herum.
„Raus hier, Benny! Das ist unsere einzige Chance!"
Der andere winselte: „Aber - meine Hand ist verschwunden! Das ist teuflisch! Ich kann nichts dagegen unternehmen."
Dann waren die beiden aus Normans Sichtkreis verschwunden. Wenige Atemzüge später bellten mehrere Schüsse auf. Ein Mann schrie gellend auf. Der dumpfe Aufprall eines Körpers sagte Norman, daß sich die beiden Dealer rücksichtslos den Weg freischossen.
Das Getrappel der Schritte entfernte sich rasch. Stille senkte sich wieder über den Kellerraum. „Ys-Dahut", flüsterte Norman. „Du darfst mich jetzt nicht verlassen. Ich habe dir geholfen. Ich bin dein Sklave. Bitte, beschütze mich vor den anderen."
Die Prinzessin lag mit geschlossenen Augen auf dem Sarkophagdeckel.
„Mein Leben gehört dir, Prinzessin", stammelte Normuran verzweifelt.
„Das weiß ich, Norman. Dir wird auch nichts geschehen. Du brauchst nicht zu verzweifeln. Wenn du jetzt nach draußen gehst, wird dich kein Mensch anhalten. Du wirst mich Wiedersehen. Frage nicht, wann und wo, denn meine Ausstrahlung wird dich leiten. Es gehört zu meinem Plan, daß ich meine Widersacher in die Falle locke. Deshalb werde ich den Ort wechseln. Du erfährst früh genug, wo du mich finden wirst. Denn ich benötige weiterhin deine Hilfe. Es könnte sein, daß du für
mich ein kostbares Kleinod zurückerobern mußt!"
„Ich werde alles für dich tun, Ys-Dahut…"
Doch Norman sprach ins Leere. Plötzlich flimmerten die Umrisse des Sarkophags auf. Ys-Dahut und ihr gespenstischer Wächter verschwanden von einer Sekunde zur anderen.
Norman kam sich plötzlich einsam und verlassen vor.
Er fror und mußte sich beide Arme warmreiben. Doch das nützte nichts. Eine innere Kälte ließ sein Herz erstarren. Unruhe befiel ihn. Er fürchtete, die herrliche Ys-Dahut niemals wiederzusehen. Ohne lange nachzudenken, eilte er aus dem Keller. Am Ausgang fand er den erschossenen Museumswächter. Der Mann lag mit dem Gesicht nach unten am Boden.
Norman stieg langsam über den Mann hinweg. Er wollte den Toten nicht ansehen.
Draußen dröhnten Stimmen.
Allem Anschein nach waren die beiden Verbrecher entkommen. Das Museum glich einem Bienenstock. Norman legte sich ein paar Ausreden zurecht, um sich möglichst unauffällig aus dem Museum entfernen zu können. Hier durfte er nicht länger bleiben. Mehrere Kollegen hatten ihn zusammen mit den schießwütigen Killern gesehen. Ihn würde man zuerst verhören.
Norman Moore wußte, daß er an einem Scheideweg angelangt war.
George Mansfield war Großmeister des Londoner Tempels der Magischen Bruderschaft. Mit einer jovialen Handbewegung lud er Abi Flindt, Hideyoshi Hojo und mich zum Näherkommen ein. „Willkommen, Brüder", begrüßte er uns freundlich.
Ich kannte die Räume des Londoner Tempels von einer früheren Faust-Beschwörung her. Wegen meiner Verdienste um die Weiße Magie hatte mich die Magische Bruderschaft in den Rang eines Praktikers erhoben.
„Es ist alles vorbereitet, Bruder", sagte der Großmeister zu mir.
Wir betraten den Vorhof gemeinsam. Schwere samtene Vorhänge dämpften die Geräusche. Die Ruhe, die in diesem Raum herrschte, übertrug sich auf uns. George Mansfield teilte die Zeremoniengewänder aus. Schweigend verfolgten zwei seiner Brüder das Geschehen.
Ich legte den grauleinenen ärmellosen Poncho an.
Der Stoff roch nach Weihrauch. Ein merkwürdiges Gefühl ergriff mich. Ich hatte schon mehrmals an einer Beschwörung teilgenommen. Doch diese Zeremonie faszinierte mich immer wieder aufs neue.
Anschließend bereiteten wir uns im Meditationsraum auf die Beschwörung vor.
Schweigend reichte uns George Mansfield das Brot der Erkenntnis. Die scharf gewürzten Oblaten hatten die Form eines Drudenfußes. Dann reichte uns der Großmeister kleine Pokale, in denen der Wein des sechsten Sinnes schimmerte.
Der Wein rann wie glutflüssiges Erz durch meine Kehle. Ich spürte Gluthitze in meinem Innern aufsteigen. Meine Gedanken klärten sich. Es war ganz anders als sonst, wenn ich Wein oder andere Alkoholika trank.
Ich war bereit für die mentale Vereinigung, deren Ziel es war, einen Geist aus den
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