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090 - Die Totenwache

090 - Die Totenwache

Titel: 090 - Die Totenwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dämonenkiller
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unbegreifbaren Sphären seiner Existenz zu holen.
    Wenig später standen wir im eigentlichen Tempel.
    Der Raum hatte einen Durchmesser von zehn Metern. An den Wänden hingen zahlreiche Reliquien. In der Mitte stand ein runder einbeiniger Glastisch.
    Wir setzten uns um den Tisch herum, und unsere Umhänge raschelten. Wir waren sechs Männer - George Mansfield, zwei seiner Brüder, Yoshi, Abi und ich. Mansfield stellte den magischen Globus in die Tischmitte. Den Kerzenleuchter trug er zu einer Kommode, so daß sein Licht indirekt auf den pechschwarzen, makellos runden Globus fiel. Dann setzte er den Globus in Bewegung. Er drehte sich immer schneller, und schließlich rotierte er wie ein Perpetuum mobile. Das Kerzenlicht wurde reflektiert und schuf eine fast weiße Lichtaura.
    „Konzentriert euch, Brüder…"
    Wir stellten die Kreisverbindung her, indem wir uns an den Händen faßten. Jeder konzentrierte sich auf die Anrufung des Faust-Geistes. Besonderer Erklärungen bedurfte es dazu nicht mehr. Jeder wußte, worauf es ankam.
    "Vor meinen Augen leuchtete die magische Aura grell auf.
    „Erscheine uns, Geist, den wir rufen!"
    Ein überirdisches Raunen ging durch den Tempel. Unter der Kuppel flirrten die Reflexe der magischen Aura. Sie schimmerten wie Sterne am klaren Nachthimmel.
    Und plötzlich verdichteten sich die Konturen der magischen Aura.
    Vor Dorian erschien Fausts Astralleib. Er trug die Magisterkleidung des 16. Jahrhunderts. Auf seinem Kopf thronte der hohe Spitzhut. Die Schultern umgab ein Umhang, und seine Füße steckten in den typischen Schnallenschuhen. Bis auf sein Gesicht hatte der Geist Form angenommen. Unter dem Hut verfloß eine neblige Masse. Ich glaubte zwei stechende Augen zu erkennen, doch die Projektion war instabil.
    „Zeig dich uns, Geist! Wir rufen dich!"
    Ein gequältes Stöhnen ging durch den Tempelraum.
    Ich wußte sofort, daß etwas nicht in Ordnung war. Ich kannte den Faust-Geist als sehr eigenwillige Persönlichkeit. Wenn er den Kontakt nicht wünschte, würde er sich niemals zum Erscheinen zwingen lassen.
    „Ich sehe Euch, Georg", sagte er. Es klang wie ein hohles Säuseln.
    Kalter Schauer lief mir über den Rücken. Faust hatte mich also erkannt. Er nannte mich in Erinnerung an meine frühere Existenz Georg Rudolf Speyer.
    „Zeig dich uns ganz", forderte ich den Geist auf.
    Statt dessen antwortete er mit einigen Zeilen aus einem Gedicht:

„Im ernsten Beinhaus war's, wo ich beschaute,
    Wie Schädel Schädeln angeordnet paßten;
    Die alte Zeit gedachte ich, die ergraute.
    Sie stehn in Reih geklemmt, die sonst sich haßten,
    Und derbe Knochen, die sich tödlich schlugen,
    Sie liegen kreuzweis, zahm allhier zu rasten:
    Entrenkte Schulterblätter! Was sie trugen Fragt niemand mehr, und zierlichtätge Glieder,
    Die Hand, der Fuß, zerstreut aus Lebensfugen."

    „Goethe bei der Betrachtung von Schillers Schädel", warf ich ungeduldig ein.
    „Ja, Georg", sagte der Geist, wobei sich langsam die Züge seines Gesichts aus den Nebeln schälten. „Ich muß Euch warnen. Der Tod kommt schneller, als man es sich wünscht. Es wäre nicht das erstemal, daß ein Freund den Schädel seines Bruders in Händen hielt und nach dem Sinn des Lebens fragte."
    „Warum so literarisch?" spottete ich unwillkürlich. „Ich brauche deinen Rat, Faust."
    „Ich weiß, Georg. Du willst mich über Magnus Gunnarson ausfragen."
    „So ist es. Verrate mir, was Gunnarson vorhat!"
    Die Gesichtszüge des Fausts-Geistes wurden wieder durchsichtig und verblaßten.
    „Ich komme nicht durch, Georg", klagte der Geist. „Es gibt einen mächtigeren Einfluß…"
    „Was?" brauste ich auf. „Wer könnte dich daran hindern, mich über alles zu informieren?"
    „Jemand stört unsere Kreise, Georg. Ich warne Euch. Flieht vor dieser Macht!"
    Ich war irritiert. Fausts Warnungen trafen mich zutiefst.
    „Ich kann nicht anders, Georg", sagte die Erscheinung. „Aber ich kann Euch warnen. Der, dessen Macht im Stein der Weisen verewigt ist, wirft seine Schatten auch auf mich. Der Dreimalgrößte sieht Euch, Georg, als Auserwählten an. Es gibt drei Auserwählte. Erst seit kurzem gehört Ihr dazu..
    „Erst seit kurzem?" fragte ich aufgeregt.
    „Ihr wart verwundbar, denn jeder Dämon hätte Eure Lebensuhr anhalten können. Solange Eure Abhängigkeit von der Lebensuhr bestand, konnte Euch der Dreimalgrößte nicht in den Kreis der Auserwählten aufnehmen."
    „Wie heißen die anderen Auserwählten?" fragte ich, nachdem ich meine

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