090 - Moerderische Knochenhaende
Maria hilflos.
„Ich bin dafür, daß der Fall geklärt wird“, sagte Carlotta Vespari entschlossen. „So geht es doch nicht.“
„Sie sind überstimmt, schöne Dame“, entgegnete Adriano grinsend. „Werden Sie bei der Bestattung gegenwärtig sein?“
„Ihr Spott ist unangebracht.“
„Du bist ein Flegel.“
„Das ist meine besondere Note, Silvana. Bei mir weiß man wenigstens immer, woran man ist. Bei dir dagegen…“
„Darf ich euch bitten, euch beherrschter zu zeigen?“ fragte Carlotta freundlich. Die Zwillinge blickten sich an, nickten verlegen und ließen sich nicht mehr von ihrem Vetter provozieren. Adriano stützte die Ellenbogen auf den Tisch.
„Wann werden Sie mit meiner Erziehung beginnen, Signorina?“ fragte er. „Wie wäre es heute abend in Florenz? Ich kenne eine fabelhafte Bar, in der man…“
„Ich glaube nicht, daß es noch Sinn hat, bei Ihnen an Erziehung zu denken, Adriano“, erwiderte Carlotta kühl. „Dafür ist es wohl endgültig zu spät.“
Ihr Ton wirkte wie eine kalte Dusche auf ihn. Silvana und Julia kicherten verhalten. Er wurde blaß. Zornig preßte er die Lippen zusammen und stand auf.
„Ich gehe.“
„Vergiß die Katze nicht“, riet Silvana spöttisch.
Julia wartete, bis sie mit Carlotta Vespari allein war.
„Ich möchte noch einmal zum Friedhof“, sagte sie dann. „Würden Sie so lieb sein und mich begleiten, ich habe Angst, allein zu gehen.“
„Wovor hast du Angst?“
„Ich weiß es nicht, es ist einfach so.“
„Gut, gehen wir.“
Der Park sah friedlich aus. Adriano di Cosimo hatte einige Männer und Frauen vom Gut abgestellt und sie beauftragt, die gärtnerischen Arbeiten im Park zu erledigen. Aus Florenz kamen drei ältere Damen, die die Marchesa besuchen wollten. Mit der heiteren Gelassenheit des Alters betraten sie das Schloß und ließen sich zu der Marchesa führen.
„Das sieht alles so normal, so natürlich und so selbstverständlich aus“, sagte Julia. „Ich begreife nicht, warum das nachts anders ist. Was geschieht hier eigentlich?“
„Du hast deinen Vater sehr geliebt, nicht wahr?“
Julia blickte überrascht auf.
„Woher wissen Sie das?“
„Ich habe dich beobachtet, als Silvana von der Beerdigung sprach.“
„Ja“, sagte Julia und senkte den Kopf. „Ich habe ihn sehr geliebt, ich vermisse ihn.“
„Er ist jung gestorben, nicht wahr?“
„Ja – viel zu jung, er war ja noch nicht einmal fünfzig Jahre alt.“
„Dann war er viel jünger als die Marchesa?“
„Nahezu sechzehn Jahre.“
Sie schwiegen, weil sie an einem Arbeiter vorbeigingen, der höflich seine Mütze zog. Julia hing ihren Gedanken nach.
„Es gibt einige Leute, die behaupten, mit Vaters Tod sei…“, sagte sie, brach dann jedoch ab und schüttelte den Kopf. „Nein, es ist nicht gut, davon zu sprechen.“
Sie erreichten den Friedhof. Julias Gedanken richteten sich wieder auf die Ereignisse in der letzten Nacht. Zögernd näherte sie sich dem Winkel des Gottesackers, in den sie von der schattenhaften Gestalt geführt worden war. Vor dem frisch aufgeworfenen Grab blieb sie stehen.
Carlotta Vespari sah, daß ihre Hände zitterten.
„Wer mag das getan haben?“ fragte Julia. „Wer mag das Grab ausgehoben haben?“
Sie blickte Carlotta Vespari an.
„Ich weiß es nicht, Julia.“
„Das kann doch kein… kein Geist getan haben.“
„Du meinst, irgend jemand wolle dir einen bösen Streich spielen?“ Die Erzieherin lächelte mitfühlend und schüttelte den Kopf. „Nein, Julia, das würde niemand tun. Und sagtest du nicht, die Gestalt sei durchsichtig geworden und habe sich aufgelöst?“
Das Mädchen nickte.
„Allerdings, und sie sagte, ich müsse sterben, weil ich siebzehn Jahre alt sei.“
Carlotta legte den Arm um Julia.
„Komm, laß uns gehen.“
„Nein, Carlotta. Ich muß erst wissen, was…“ Ihre Augen weiteten sich. „Haben Sie die anderen Grabsteine gesehen?“
„Ja, leider.“
Julia riß sich los, sie eilte zu den anderen Gräbern.
„Sehen Sie doch, Carlotta. Hier steht: 1605 – 1622. Siebzehn Jahre alt, aber kein Name. Und hier: 1783 -1800. Siebzehn Jahre alt! Und hier: 1821 – 1838, wieder sind es siebzehn Jahre, und wieder fehlt der Name. Was hat das zu bedeuten, Carlotta? Warum stehen auf diesen Grabsteinen keine Namen?“
Sie stand vor der Erzieherin und blickte sie verzweifelt fragend an. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
„Ich war noch niemals zuvor hier. Um diesen Friedhof habe ich
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