090 - Moerderische Knochenhaende
Maria Rossetti mit, daß sie heute abend nicht im Schloß essen würde, und legte sich noch für eine kurze Zeit hin, um etwas auszuruhen und nachzudenken.
Julia fand keine Ruhe.
Immer wieder ging ihr durch den Kopf, was der Alte gesagt hatte.
Vor mehr als 350 Jahren war ein Mord auf dem Schloß geschehen, und es schien, als wirke er immer noch nach. Siebzehnjährige Töchter der Familie di Cosimo waren gestorben, aber nicht in der Familiengruft beigesetzt worden. Julia erinnerte sich, drei oder vier Gräber gesehen zu haben, auf denen nur Jahreszahlen verzeichnet waren. Diese Tatsache ließ ihr keine Ruhe.
Sie wagte es nicht, ihre Mutter zu fragen, ob Angelo Berutti die Wahrheit gesagt hatte, weil sie einen erneuten Zornausbruch fürchtete. Auf der anderen Seite fand sie keine Erklärung dafür, daß die Marchesa so heftig reagiert hatte. Gewiß, der Alte hatte keinen besonders guten Ruf, aber es durfte doch nicht verboten sein, sich zu informieren, wenn unbegreifliche Dinge geschehen waren.
Sie hatte gesehen, daß Carlotta Vespari das Schloß verlassen hatte. Sie lächelte bei dem Gedanken an die Erzieherin. Carlotta meinte sicher, daß die Zwillinge nichts bemerkt hätten. Aber es war so offensichtlich, daß sich zwischen ihr und Piero di Abbaccio etwas angebahnt hatte. Julia war ein wenig eifersüchtig, sah aber auch ein, daß es Pieros Entscheidung war, und daß man daran nichts ändern konnte. Silvana dagegen hatte etwas hitziger reagiert und in ihrer Eifersucht einige abfällige Worte über Carlotta gesagt. Als Julia sie daraufhin ermahnt hatte, war die Antwort zwar temperamentvoll gewesen, aber ihr folgte eine gewisse Einsicht.
Der Abend war heiß. Julia fühlte sich trotz Air-Condition nicht wohl auf ihrem Zimmer, deshalb ging sie gegen dreiundzwanzig Uhr noch einmal nach draußen. Es war noch nicht dunkel, aber auch nicht mehr so hell, daß alle Einzelheiten im Park zu erkennen waren.
Erst als sie allein über die Wege schlenderte, wurde ihr bewußt, daß es leichtsinnig von ihr gewesen war, niemanden zu verständigen. Konnte es nicht wieder zu rätselhaften und vielleicht sogar gefährlichen Ereignissen kommen?
Sie schüttelte ihre Angst ab.
Vor der Kapelle blieb sie zögernd stehen. Hier hatte alles begonnen, hier war ein Mord geschehen, der bis heute nicht aufgeklärt war. Julia spürte, daß er auf geheimnisvolle Weise mit allem anderen, was danach eingetreten war, in Verbindung stand.
Sie ging hinein, nahm Streichhölzer von einem Regal und zündete einige Kerzen an. Sie war ganz ruhig und ausgeglichen und fürchtete sich nicht. Ihr war, als könne ihr einfach nichts passieren.
Doch das änderte sich, als sie mit der Kerze in der Hand durch die Kapelle ging und jeden Winkel ausleuchtete. Irgendwo mußte doch der Sarkophag stehen, er konnte nicht einfach verschwunden sein.
Sie durchsuchte auch die beiden Nebenräume, in denen allerlei Geräte und Gerümpel abgestellt worden waren.
Plötzlich bewegte sich die Tür der Kapelle. Julia fuhr herum. Sie fühlte, wie es ihr kalt über den Rücken lief: Die Tür schwang knarrend in ihren Angeln hin und her, fiel jedoch nicht ins Schloß. Sie erinnerte sich daran, daß es ihr nicht gelungen war, die Tür zu öffnen, als der Sarkophag auf rätselhafte Weise in der Kapelle erschienen war. Sofort überfiel sie wieder die alte Angst. Sie rannte auf die Tür zu und hielt sie fest. Schwer atmend blickte sie nach draußen, konnte jedoch nichts erkennen, weil das Licht der Kerze sie blendete.
Sie löschte sie, schloß die Tür hinter sich und lehnte sich an die Mauer, die von der Hitze des Tages noch Wärme ausstrahlte. Erregt sah sie sich um. Ihre Augen gewöhnten sich allmählich an die Dunkelheit. Vorübergehend schien es ihr so, als warte wenige Meter von ihr entfernt eine männliche Gestalt unter einem Baum auf sie. Doch dann erinnerte sie sich daran, daß dort ein Busch stand. Sie bückte sich, hob mit bebender Hand einen Stein auf und schleuderte ihn auf den Busch. Sie atmete auf, als sie das Laub rascheln hörte.
Sie wartete einige Minuten, dabei wandten sich ihre Sinne immer mehr dem abgelegenen Friedhof zu.
Ihre Füße bewegten sich fast automatisch über den Kies. Julia stöhnte leise, als habe sie Schmerzen. Sie wollte nicht zu den Gräbern gehen. Sie fürchtete sich vor ihnen und vor dem Geheimnis, das sich mit ihnen verband. Aber eine Kraft, der sie sich nicht widersetzen konnte, trieb sie vorwärts. Schritt für Schritt näherte
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