0900 - Der Magier
sollte.
Und… es war eine Flucht in den eigenen Tod hinein.
Merlin warf alle diese Gedanken weit von sich. Lerne endlich zu akzeptieren, was nicht mehr zu ändern ist. Was jetzt zählt, das sind die Dinge, bei denen du noch lenkend eingreifen kannst. Das ist eine uralte Weisheit, du Dummkopf… du solltest das wissen.
Er musste sich nicht lange konzentrieren. Die winzigen Spuren der sieben Amulette breiteten sich in seinem ganzen Körper aus und neue Kraft durchströmte Merlin. Er konnte es fühlen, in jeder Faser seines ausgemergelten Körpers, dieser uralten Hülle, die bereits kurz vor dem endgültigen Versagen stand.
Nun füllte sich das alte Gefäß noch einmal mit einer Kraft, von der Merlin schon beinahe vergessen hatte, wie süß sie doch schmecken konnte. Doch er war realistisch genug um zu wissen, wie vergänglich das Süße doch sein konnte. Viel Zeit blieb ihm nicht, denn dieser Zustand hatte klare temporäre Grenzen.
Und Merlin Ambrosius sprengte die Schranken der Dimensionsblase, in der sich die Regenerationskammer befand. Zurück blieb eine seelenlose Inkarnation des Zauberers, ein Tauschobjekt, das vorgaukelte, er würde sich nach wie vor in der Kammer befinden. Vielleicht beobachtete jemand sein langsames Sterben? Wenn ja, dann würde er das Entkommen des Magiers nicht bemerken.
Spute dich, Alter… vielleicht zählt jede Sekunde.
Sicher tat sie das - für Zamorra, für Lucifuge Rofocale… und ganz besonders für ihn selbst.
***
Sie versuchten es.
Die gesamte Kraft der Königsfamilie ließ nichts unversucht, den Schmelzvorgang aufzuhalten. König Neth und seine Enkeltochter Eupha führten die restlichen Familienmitglieder an - und die Sandformer traten in Aktion.
Die erste hauchdünne Sandschicht legte sich um die Eiskugel, die nach wie vor bittere Tränen weinte… bitter für die gesamte Welt, denn wenn die Prophezeiungen stimmten, dann würde der ganze Planet leiden müssen, wenn das Welteneis geschmolzen war.
Eine zweite Schicht entstand, eine dritte. Eupha war so hochkonzentriert bei der Sache, dass sie längst nicht mehr mitzählte. Eine Schale überlagerte die nächste, bis irgendwann König Neth bei Arme in die Höhe streckte.
»Hört auf! Wenn das nicht reicht, dann ist alles vergebens. Nun können wir nur warten.«
Eine unheimliche Stille trat ein. Eupha hörte nur noch die schweren Atemzüge ihrer Verwandten, die sie im Grunde alle verachtete. Selbst ihre Mutter, die sich dem schönen Leben im Palast hingegeben hatte. Sie alle waren verweichlicht. Die einzige Ausnahme bildete ihr Großvater selbst, der seine gesamte Kraft für das Wohlergehen seines Volkes einsetzte.
Plötzlich spürte Eupha, wie sich die Hand des Königs, die auf ihrer Schulter ruhte, zusammenkrallte. Neth stöhnte laut auf.
»Vergebens! Seht hin.« Die Hand des alten Königs zitterte, als sie auf die umhüllte Kugel wies.
Und nun sahen es auch die anderen. Ein feines Rinnsal brach sich seinen Weg durch die Sandschichten, die so stark verdichtet waren, dass nichts sie hätte durchdringen dürfen. Rein gar nichts… und doch, das Schmelzwasser ließ sich durch die Sandformer und ihre Kräfte nicht aufhalten.
Nur Momente später war da plötzlich ein Riss auf der geformten Sandoberfläche, der sich unaufhaltsam vergrößerte, bis die oberste Schale einfach barst und zu Boden fiel. Der Rest des Zwiebelschalenmodells verging im Sekundentakt.
Eupha hörte das Schluchzen ihrer Cousinen - diese Memmen! Als würde das etwas ändern.
Sie griff nach der Hand ihres Großvaters. »Komm, wir versuchen es noch einmal - nur du und ich, ja? Wir schaffen das. Wir müssen es ganz einfach schaffen.«
König Neth sah seine Enkelin mit traurigen Augen an. »Du bist mutig, Kind, aber schau hin. Das Objekt liegt schon beinahe frei. Lass uns zu den Göttern beten, dass die Legenden nur Ammenmärchen sind, mit denen man Kinder erschreckt. Denn wenn dem nicht so ist…« Weiter kam Neth nicht, denn ein böses Gebrüll erfüllte die Kammer, doch es kam nicht von der Säule, sondern von der Tür. Dann klang eine Stimme auf, die ganz sicher nicht von dieser Welt war.
»Keine Sorge, Alterchen, das soll dich nicht mehr kümmern, denn du wirst die Wahrheit nicht mehr erleben.«
***
Lucifuge Rofocale sah die Zeit gekommen, das alles hier zu beenden.
Die Eiskugel war nun nicht mehr größer als der Schädel eines Neugeborenen. Nur noch wenige Sekunden, dann hatte seine magische Hitze ihr Werk getan. Ganz deutlich war nun der
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