0900 - Der Magier
dem Moment, in dem er sie anwenden würde. Rofocale schloss sein Dämonenmaul. Er verspürte keine Veränderung, also war es tatsächlich so, dass die tote Zeit keine Wesenheiten angriff. Gut - er war mehr als zufrieden.
Nun wurde es Zeit, sich Professor Zamorra zu widmen.
Und Lucifuge Rofocale wusste auch schon genau, wie er das anstellen musste. In seinem Château hatte Zamorra Heimspiel, den Professor dort anzugreifen, war sinnlos. Nein, da gab es andere Orte, an denen der Dämon ihn stellen konnte. Und den verfluchten Parapsychologen dort hin zu locken, das dürfte überhaupt kein Problem sein.
Rofocale wusste, wie sehr die Menschen ihre Kinder liebten.
Erst recht die Kinder, die Schutz bedurften, die ohne Hilfe verloren waren.
Zamorra machte da keine Ausnahme.
Wir sehen uns, Zamorra. Oh ja, wir sehen uns schon bald. Ich gebe dir einen Grund, mich zu hassen und anzugreifen.
Jeder Gedanke an Schwäche und Schmerzen war wie fortgeblasen. Lucifuge Rofocale war voller Tatendrang. Als er diese Wüstenwelt wieder verließ, da war sein Ziel nicht die Hölle.
Sein Ziel hieß Erde. Vereinigte Staaten von Amerika.
Genauer: El Paso, Texas.
***
Mit einem zufriedenen Grinsen schaltete Serhat das Fernsehgerät aus.
Er hatte ganz dicht davor auf dem Boden gesessen, denn so konnte er den Ton ganz leise stellen - das war wichtig, denn niemand sollte ihn hier erwischen.
Die TV-Stunden waren hierbei no tears ganz klar reglementiert. Wenn der olle Kasten , wie Millisan Tull, die pädagogische Leitung der Einrichtung, das Fernsehgerät stets nannte, überhaupt einmal eingeschaltet wurde, dann nur zu ganz bestimmten Sendungen, die sie für die Kinder akzeptieren konnte. Ganz verbieten? Das klappte überhaupt nicht und war weltfremd, denn man lebte nun einmal in einer medialen Zeit. Aber vernünftig dosieren - das ging schon.
Wer also meinte, er müsse sich eine Zusatzportion TV verschaffen, in dem er heimlich in das Zimmer mit dem Gerät schlich, den erwarteten empfindliche Strafen.
Bei dem sechsjährigen Serhat allerdings drückten die Pädagogen ab und an beide Augen zu. Der Grund war, dass sie Serhats Interesse an seiner Umwelt fördern wollten. Seit man den Jungen in der Türkei neben seinen ermordeten Eltern gefunden hatte, hatte sich ein Block um das Bewusstsein des Kindes gelegt. Nur langsam, nach und nach, gelang es seinen Betreuern zu ihm vorzudringen. Und die langsame Taktik schien Erfolg zu versprechen: Die autistischen Knebel des Kleinen schienen sich endlich zu lockern. Doch in dem Kind steckte noch weitaus mehr als dies. Er hatte seherische Fähigkeiten an den Tag gelegt, empathische Talente… und wer konnte schon ahnen, was noch alles in ihm verborgen war.
Serhat wusste natürlich, das man ihn oft nur an der langen Leine führte, was er geschickt für sich ausnutzte. Er liebte das Fernsehen! Ganz besonders Cartoons, Trickfilme, Animes… wie man sie auch nennen wollte. Jetzt, so kurz vor dem Weihnachtsfest, wurde man nahezu von allen Sendern damit regelrecht überschüttet. Die Amerikaner liebten ihr Christmas, sie liebten die Armeen von Werbe-Nikoläusen, die einem in den Einkaufsstraßen auflauerten und ihre Jobs mehr oder weniger mit Begeisterung erfüllten. Sie liebten die Süßigkeiten, die Geschenke, den Stress und die Hektik dieser Tage, die gar nicht früh genug beginnen konnten.
Und sie liebten ihren Coca-Cola-Rot gewandeten Father Christmas , ihren Weihnachtsmann mit dickem Bauch und mächtigem Vollbart. Sein Ho! Ho! Ho! drängte sich von überall her in die Gehörgänge und krallte sich dort fest, wie eine lästige Zecke.
Serhat war Moslem. Die Kinder sprachen ab und an untereinander von ihren Religionen, so, wie sie diese für sich empfanden. Die Leiter von no tears förderten diesen Aspekt in keinster Weise. Die Kinder würden irgendwann einmal für sich selbst zu entscheiden haben, ob sie die Religion ihrer Herkunft oder eine andere für sich wählten… oder überhaupt keine.
Serhats Eltern waren sicherlich gläubige Menschen gewesen, doch dem Kleinen fehlte jede Erinnerung daran. Für Serhat spielte es keine Rolle, ob jemand Moslem, Christ, Jude oder Buddhist war - und Weihnachten war für ihn gleich einem bunten Cartoon, an dem man Spaß haben konnte. Noch besser waren natürlich die ganzen Trickfilme, bei denen der dicke Weihnachtsmann eine Hauptrolle spielte. Es gab mehr als genug davon - und einen hatte er sich gerade gegen alle Regeln heimlich angesehen.
Serhat grinste breit,
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