0902 - Zurück zu den Toten
Kellerwand. Schimmel hatte sich darauf gebildet.
Die beiden Kerzen hatte Olivia leider auch wieder mitgenommen und mir die Chance entrissen, die Stricke mit Hilfe der Flamme durchzubrennen.
Ich befand mich auf ziemlich verlorenem Posten und merkte, daß die Hände wie auch die Füße immer tauber durch den Blutstau wurden.
Mochte die Welt noch so modern geworden sein, die Art der Fesselung, wie sie im Altertum bereits bekannt war, verfehlte auch heute ihre Wirkung nicht. Ich würde schwerlich von den Stricken aus eigener Kraft loskommen, obwohl sich meine Gedanken immer mit einer Befreiung beschäftigten. Irgendwie mußte es mir gelingen, hier herauszukommen.
Ich wollte nicht zur Beute irgendwelcher untoter Wesen werden.
Darüber dachte ich nicht nach. Es war mir im Prinzip egal, wer da als Gegner auf mich lauerte, viel wichtiger war es, die Stricke loszubekommen.
Es war nicht so stockfinster, als daß ich nicht die eigene Hand vor Augen gesehen hätte. Zwar lag draußen längst die Dunkelheit, aber die Nacht war relativ klar, und der Mond stand auch kurz davor, seine volle Größe zu erreichen. Er schickte sein fahles Licht auf den blauen Planeten nieder, die Nacht war deshalb relativ hell, und so konnte ich auch den halben überirdisch liegenden Ausschnitt des Kellerfensters sehen, durch den das fahle Licht drang und sich sogar noch als schiefer, viereckiger Streifen auf dem Boden abzeichnete.
Wenn ich mich nach rechts drückte, spürte ich den Widerstand der schmalen Regalseite. Ein paarmal stieß ich dagegen und lauschte den Geräuschen, die über mir entstanden. Durch die Bewegungen waren die dort abgestellten Gefäße ins Schwanken geraten und gegeneinander gestoßen. Das wiederum brachte mich auf eine Idee.
Ich startete einen erneuten Versuch, und diesmal drückte ich viel härter zu.
Das Regal fing an zu schwanken.
Ein weiterer Anlauf.
Ich schrak zusammen, als etwas auf den Boden prallte und dort mit einem platzenden Geräusch zersplitterte. Es war eine der Schalen, die ich durch meine heftige Bewegung von der Regalfläche geholt hatte.
Weitermachen.
Drei- viermal wuchtete ich mit der Schulter gegen das dünne Regal, und ich hatte immer wieder Erfolg, denn weitere Tassen, Töpfe oder Schalen kippten zu Boden, wo sie zerbrachen.
Scherben hatte ich genug. Scherben bringen zudem Glück, heißt es immer. Ich konnte nur hoffen, daß es sich in meinem Fall ebenso verhielt. Dann war die Hälfte der Miete schon eingefahren.
Ich konnte nicht genau sehen, wo die meisten von ihnen lagen. Einige waren durch den Schwung des Aufpralls in Richtung Kellerfenster gerutscht. Es blieb mir nichts anderes übrig, als mich zunächst auf sie zu konzentrieren.
Meinen Logenplatz mit dem Rücken zur Wand verließ ich und ließ mich nach links fallen, wobei ich mit der Schulter den Boden zuerst berührte und zunächst liegenblieb.
Die Befreiung würde schwierig werden, das stand fest. Ich mußte mich so drehen, daß es mir gelang, die eine oder andere Scherbe zwischen die Finger zu bekommen, denn sie konnte ich bewegen, da die Fesseln meine Handgelenke umspannten. Außerdem waren sie noch nicht zu taub geworden. Durch Bewegungen hatte ich es immer wieder geschafft, den Kreislauf etwas in Gang zu halten.
Ich rollte nicht, ich rutschte weiter. Stück für Stück schob ich mich näher an die Scherben heran, lag zuerst auf ihnen, denn unter mir knirschte etwas.
Ich schob mich weiter. Mein Atem floß laut über die Lippen. Die Prozedur war verdammt anstrengend. Ich dachte daran, daß es in den Filmen immer so leicht aussieht, wenn sich der Held befreit. Da bekommt er dann die Scherbe zwischen die Finger - ratsch, ratsch, und die Sache war erledigt. Bei mir leider nicht. Ich hatte schon große Mühe, überhaupt ein passendes Stück zu finden.
Bei einigen gelang es mir, sie mit den Fingern abzutasten. Sie waren entweder zu stumpf oder zu klein, und so suchte ich weiter. Außerdem mußte ich mich beeilen. Die Dunkelheit lag über dem Land, und die Nacht war für die Geschöpfe der Finsternis, wer immer sich auch dahinter verbarg, stets ein besonderer Schutz.
So »besorgt« sich Olivia auch gezeigt hatte, ich wünschte mir auf keinen Fall ihre Rückkehr. Da konnte der Kaffee noch so gut schmecken, sie sollte bleiben, wo sie war.
Zwischendurch legte ich kleine Erholungspausen ein. Ich hätte mir gern den Schweiß von der Stirn gewischt. Mit gefesselten Händen war es leider unmöglich, und so blieb mir nichts anderes
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