0902 - Zurück zu den Toten
die Frau quer durch das Verlies schleifte und mich dort anlehnte, wo auch das alte und verstaubte Regal seinen Platz gefunden hatte.
Da hockte ich also, die Hände auf dem Rücken, die gefesselten Beine ausgestreckt, und schaute zu, wie Olivia die Tasse mit beiden Händen umfaßte und sie behutsam anhob.
Sie war wirklich um mich besorgt, denn der Kaffee war nicht so heiß, als daß ich mir die Lippen verbrannt hätte. Ich trank in kleinen Schlucken und schielte dabei an der Tasse entlang in die Höhe, wo ich Olivias Gesicht sah. Der Mund war zu einem Lächeln verzogen. Der Vergleich mit einer Krankenschwester paßte nicht mehr. Jetzt erinnerte sie mich mehr an eine besorgte Mutter.
»Schmeckt er Ihnen, Mr. Sinclair?«
»Sehr gut.«
»Danke.«
Sie schaute zu, wie ich auch den letzten Rest aus der Schale leerte.
Dann stellte sie das Gefäß zur Seite. »Ich sehe Ihnen an, daß sie zahlreiche Fragen quälen. Was immer es auch sein mag, Mr. Sinclair, es lohnt sich nicht, sie mir zu stellen, denn ich werde Ihnen keine Antwort geben. Es ist nicht gut.«
»Was haben Sie denn so Schlimmes zu verbergen?«
Die Frau lachte und drohte mir mit dem Zeigefinger. »Ha, ha, jetzt haben Sie schon wieder eine Frage gestellt, aber darauf kriegen Sie eine Antwort.«
»Ich warte mit Spannung.«
»Nichts, Mr. Sinclair…«
»Wie nicht?«
»Ich habe im Prinzip nichts zu verbergen, und das ist nicht mal gelogen, denn ich weiß nichts. Ich weiß einfach zuwenig, wenn Ihnen das hilft. Es könnte sein, daß ich gleich mehr erfahren werde, wenn meine Schwester zurückkehrt, aber noch bin ich praktisch unwissend. Und ich will doch keinen Polizisten anlügen.«
»Wie rücksichtsvoll von Ihnen«, sagte ich spöttisch.
»So bin ich eben.« Verlegen hob sie die Schultern.
Ich wußte nicht, ob mich diese Frau auf den Arm nahm oder es ernst meinte, trotzdem hakte ich noch einmal nach. »Sagt Ihnen der Name Sergio Marcote etwas?«
»Nein.« Sie nahm die Tasse hoch und stand auf. »Sollte er das denn, Mr. Sinclair?«
»Nein, nein, schon gut. Ich habe ja nur gemeint. War eine Frage am Rande.«
»Aha.«
Sie hatte sich umgedreht und war auf dem Weg zur Tür. »Wollen Sie denn schon gehen?«
»Ja. Für Sie leider, ich weiß.« Ein kurzes Räuspern. »Ich habe meiner Schwester versprochen, auf sie zu warten. Und ich möchte nicht, daß sie mich im ganzen Haus suchen muß, wenn sie zurückkehrt. Ich gebe ja zu, daß dieses Haus für zwei Personen etwas zu groß geraten ist, aber wir wollen unser Erbteil auch nicht verkaufen, dafür haben Sie sicherlich auch Verständnis, denke ich.«
»Irgendwo schon.«
»Das dachte ich mir - danke.« Sie griff zur Tür, um sie von außen zu schließen, stoppte dieses Vorhaben allerdings, denn sie hörte meine Stimme. »Eine Frage habe ich noch, Mrs. Olivia.«
»Bitte, welche?«
»Was geschieht mit mir? Was haben Sie mit mir vor, Ihre Schwester und Sie?«
»Ganz einfach«, erwiderte Olivia. »Sie werden sterben, Mr. Sinclair, sterben…«
Nach dem letzten Satz schloß sie die Tür…
***
Ich saß da wie vom Blitz getroffen und hatte die Stirn in Falten gelegt, als die Tür zugeknallt wurde.
Ich sollte sterben!
Verdammt noch mal, so nett hatte mir das wirklich noch niemand gesagt.
Ich hätte auch darüber gelacht, wenn ich mir nicht im klaren gewesen wäre, daß Olivia es ernst gemeint hatte. Für sie und ihre Schwester kam im Endeffekt hur mein Ableben in Frage, und das wiederum ließ darauf schließen, daß ich in ein Wespennest gestochen und Sergio Marcote nicht so unrecht gehabt hatte.
Marcote!
Wieder dachte ich an den Killer. Es war trotz allem schwer, eine Verbindung zwischen ihm und denbeiden Schwestern herzustellen.
Möglicherweise existierte sie auch nicht, und plötzlich kam mir wieder der Nachname der Frauen in den Sinn.
Sie hießen Serrano. Olivia und Amanda Serrano. Auch für mich zwei Namen, die ich nie zuvor gehört hatte. Aber das war nicht das Problem.
Ich mußte zusehen, daß ich hier aus diesem feuchten Verlies wegkam.
Aber wie?
Seltsamerweise machte ich mir im Moment darüber keine Gedanken, denn ich erinnerte mich wieder an meinen Besuch bei Sergio Marcote.
Irgendwo war er schon der Schlüssel zu diesem teuflischen Spiel…
***
Das Krankenhaus selbst stand natürlich nicht unter Bewachung, dafür jedoch der Gang auf der vierten Etage, wo man Marcote in ein Krankenzimmer gelegt hatte.
Am Beginn des Ganges saß ein uniformierter Kollege. Neben ihm stand ein Tisch,
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