0905 - Die Anstalt
sich mit billigerem Brennmaterial.
Annie spuckte in den offenen Topf, in dem sie gerade mit hochrotem Kopf rührte, damit der Brei nicht noch mehr anbrannte. Niemand würde diese »Würze« später noch vom übrigen Gemansche unterscheiden können - und Annie half es wenigstens ein klein wenig, ihren Frust abzubauen.
Natürlich war sie nicht allein für die Speisung der Millbank-Häftlinge zuständig. Aber manchmal hatte sie das gottverfluchte Gefühl, dass sie die Einzige war, die wirklich schuftete!
Aus tränenden Augen - der Schweiß lief immer wieder hinein und brannte höllisch - blickte sie zu den anderen Köchinnen und dem übrigen Gesinde, das bereits begonnen hatte, erste Näpfe zu füllen und sie in die Tiefen der Anstalt zu schaffen.
Nach Annies Geschmack ging alles viel zu langsam. Sie war immer ein Arbeitstier gewesen, und vielleicht hatte Pallister sie deshalb »geadelt«, indem er sie mit der Zubereitung seines tagtäglichen Mahles beauftragte.
Nur das Beste für den gestrengen Leiter des Millbank!
Annie hatte aufgehört, sich darüber Gedanken zu machen. Wenn sie dem Direktor das Essen brachte, fiel jedes Mal auch für sie eine gehörige Portion ab. Pallister war ein guter Mensch. Sie hätte alles für ihn getan, weil er sie - anders als die Häftlinge - eben auch menschlich behandelte. Manchmal blieb sie auch etwas länger in seinem Büro, und danach musste sie zusehen, dass die Kleider wieder einigermaßen manierlich saßen. Nein, auf den Direktor ließ sie nichts kommen.
»Fertig!«, keuchte sie in Richtung der Helfer, die darauf warteten, dass sie die Hafergrütze frei gab. Nicht gerade euphorisch kamen sie heran, um den riesigen Topf von der Herdplatte herunter zu nehmen.
Annie wandte sich ihrem Braten zu, drehte ihn, den Blick auf die bereits gut sichtbare Kruste gerichtet und auf das Fett, das daran heruntertropfte, zischend im offenen Feuer landete.
Das Wasser lief ihr im Mund zusammen.
Ein Schrei ließ sie den Kopf drehen: Dann ein schepperndes Poltern, weitere, nun lautere Schreie.
Wutentbrannt sah sie, wie die beiden Tölpel, die den Topf mit Haferbrei wegschleppten, offenbar ins Stolpern gekommen waren und den Topf hatten fallen lassen. Der Brei hatte sich wie bleicher Schlamm über den Steinboden ergossen. Der Behälter lag umgekippt daneben, und einer der Kerle hatte sich offenbar am Inhalt verbrannt, weil er ihm über die Füße und in die Schuhe gelaufen war. Jetzt führte er einen Veitstanz auf.
Annie stemmte die Fäuste in die drallen Hüften und wollte ihn gerade zusammenstauchen, als… als der Brei sich bewegte. Ebenso der Topf.
Niemand fasste ihn an, dennoch… schob sich beides den Boden entlang, von einem imaginären Punkt in der Küchenmitte aus. Es war nicht die natürliche Fließbewegung des Breies, und es war auch keine Hand da, die den Topf so vehement bewegt hätte - aber irgendetwas trieb beides vor sich her, als würde ein unsichtbarer Besen die Schweinerei schnellstens beseitigen wollen.
Annie traute ihren Augen nicht, und wie ihr erging es plötzlich jedem in der riesigen Küche. Die Schreie des Burschen, der sich verbrannt hatte, hatten mittlerweile alle Blicke auf das Geschehen gelenkt.
»Ihr Taugenichtse!«, blaffte Annie die beiden Unglücksraben an, die das Tohuwabohu ausgelöst hatten. »Ihr…«
Sie hatte reflexartig zu einer Schimpftirade angesetzt, obwohl die eigene Aufmerksamkeit längst von dem seltsamen Treiben am Boden gefesselt wurde. Doch schnell verstummte sie.
Der Tölpel, der sich am Brei verbrannt hatte, protestierte zwischen schluchzendem Wimmern: »Ich bin nicht gestolpert! Uns trifft keine Schuld! Da war… etwas. Es traf uns wie ein… ein Knüppel…«
Annie hörte ihm gar nicht zu. In diesem Moment schrien weitere Küchenhelfer auf. Sie starrten entsetzt ins Leere, wurden gleichzeitig - wie der Topf, wie der Brei - von etwas beiseite geschoben. Eine unsichtbare Kraft, die sie wegdrückte, zurückweichen und entsetzt mit der Augen rollen ließ.
Annie spürte, wie schlagartig die Hitze aus ihr wich. Sie schauderte, ihr war plötzlich kalt, als wären alle Feuer in der Küche gleichzeitig erloschen - oder hätten nie gebrannt. Frost kroch in ihre Knochen.
Was geht hier vor?
Sie stand immer noch in Wandnähe vor dem Spieß. Trotzdem erreichte die Glut des Feuers, über dem der Braten röstete, sie nicht mehr.
Das ist… verrückt…
Vor ihren Augen spielten sich jetzt immer eigenartigere, bizarrere Szenen ab. Die
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