0907 - Imperium der Zeit
Verstand gebracht hatte.
»Gud…«, keuchte er und bemühte sich, wieder Kontrolle über seine Gesichtszüge zu erlangen. Er wollte sich vor ihr nicht schwach zeigen, nicht ängstlich. Vor niemandem. Johann Bechtel war kein ängstlicher Mann.
»Ja, komm jetzt«, winkte sie ab, ohne weiter auf ihn einzugehen. »Herr Kreiner erwartet dich schon seit einer geschlagenen halben Stunde in deinem Büro. Hältst du es für klug, einen Bankangestellten zu verärgern, von dem du dir einen Kredit erhoffst?«
Als wäre er völlig unbeteiligt, ließ Johann sich von ihr mitzerren.
***
Als Johann das Büro betrat, das er sich in einem kleinen Zimmer des Erdgeschosses eingerichtet hatte und von dem aus er seit Jahrzehnten das Geschick seines Unternehmens leitete, sah F. Michael Kreiner gerade auf die goldene Armbanduhr, die er am Handgelenk trug. Kreiner, wie immer in einen geschmackvollen dunklen Anzug gekleidet, saß im rechten der beiden mit schwerem Leder überzogenen Holzstühle, die vor Johanns massivem Eichenschreibtisch standen - und wenn er wirklich schon seit dreißig Minuten wartete, hatte er wohl auch genügend Gelegenheit gehabt, sich durch den Stapel an Mahnschreiben und unbezahlten Rechnungen zu wühlen, der noch immer unsortiert auf dem Tisch lag. Zum Glück war Johann schlau genug gewesen, den Revolver wieder zurück in die Schublade zu packen…
»Herr Bechtel«, sagte der schwarzhaarige Banker gereizt, als er Johann bemerkte. »Schön, dass Sie doch noch erscheinen. Wissen Sie, andere Menschen haben auch Termine.« Sein Blick ähnelte Gudruns, die den alten Winzer gerade mit einem geflüsterten »Das bade gefälligst selber aus« in den Raum geschoben und die Tür hinter ihm geschlossen hatte. Gudrun, die keine Ahnung hatte, wie es um ihrer beider Finanzen bestellt war.
Zögerlich reichte Bechtel dem knapp vierzig Jahre jüngeren Mann die Hand zum Gruß. »Entschuldigen Sie meine Verspätung, Herr Kreiner«, sagte er ruhig und versuchte, seine noch immer wild rotierenden Gedanken auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Anstatt sich mit langen Erklärungen aufzuhalten, kam er gleich zur Sache. »Wie Sie vielleicht wissen, beabsichtige ich eine größere Investition zu tätigen.«
Kreiner nickte. So viel hatte man dem Jungspund offenbar schon mitgeteilt, dachte Bechtel zufrieden. Was er vermutlich nicht wusste, war, dass der Winzer dieses Geld dringend für die Sanierung seines eigenen Unternehmens brauchte.
»Sie hatten unsere Filiale kontaktiert und um ein Vorgespräch bezüglich eines Kredits gebeten, ja«, bestätigte Kreiner und strich sich gedankenverloren die Krawatte glatt.
»Mein Unternehmen ist bereits seit Jahrzehnten Ihrer Bank treu«, setzte Bechtel nach, doch der junge Mann fiel ihm ins Wort. »Herr Bechtel, sparen wir uns den Small Talk, dafür ist die Zeit schon zu weit fortgeschritten. Sie wollen Geld von uns. Und, ganz ehrlich gesagt, nach Prüfung Ihrer momentanen Finanzlage finde ich diese Bitte beunruhigend.«
Johann wollte aufbrausen, doch Kreiner ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. »Ihre Konten«, fuhr er betont lauter fort, »weisen derzeit ein Defizit in Höhe von knapp siebzigtausend Euro auf, und betrachtet man die Einkünfte, die Ihr Betrieb in den letzten Jahren erwirtschaftet hat, glaube ich nicht, dass Sie diesen Soll-Betrag in absehbarer Zeit wieder ausgleichen können.«
»Was… was erlauben Sie sich zu behaupten?«, wütete Bechtel los.
»Dass Sie pleite sind, Herr Bechtel. Und das ist keine Behauptung, sondern eine Tatsache. Sie haben die Post auf Ihrem Schreibtisch gesehen, also muss Ihnen das selbst klar sein.«
Johann fegte die Briefe mit einer beiläufigen Handbewegung vom Tisch. »Ach, das? Das sind momentane Rückschläge. Nichts weiter als eine saisonale Talsohle, das geht vorbei.«
Kreiner schüttelte den Kopf. »Sehen Sie keine Nachrichten? Die Weltwirtschaft trudelt einer Katastrophe entgegen, die auch der Mittelstand zu spüren bekommt. Auch Unternehmen wie das Ihre. Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf, Herr Bechtel, dann suchen Sie sich einen Insolvenzverwalter.«
»Insol…« Johann kochte. Vergessen waren die Gedanken an die rätselhaften Ereignisse im Weinberg. Vergessen war die Sorge um Verstand und Verfolger, waren die Suizidgedanken vom Vorabend. Das hier war ein Angriff auf seine Ehre, auf sein Lebenswerk. »Kommen Sie mir nicht mit der Finanzkrise, Herr Kreiner«, schrie er wütend. »Das ist doch nichts weiter als eine
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