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0909 - Drachentod

0909 - Drachentod

Titel: 0909 - Drachentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Balzer
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kein Held. Wenn die Kugeln pfiffen, befand er sich nur sehr ungern mitten in der Schusslinie.
    Bali , dachte der Ex-Agent genüsslich, als er seinen schrottreifen Plymouth in die Tiefgarage des anonymen Hochhauses im Stadtteil Yau Ma Tei lenkte, in dem er eine kleine Wohnung besaß. Bali wäre ein ideales Ziel für einen ausgedehnten Urlaub unter Palmen.
    Er hatte der beliebten indonesischen Insel schon immer einen Besuch abstatten wollen, zumal er wahre Wunderdinge über die einheimischen Masseurinnen gehört hatte. Jetzt schien der richtige Zeitpunkt gekommen zu sein.
    »We're going to hang out the washing on the Siegfried Line. Have you any dirty washing, mother dear? We're gonna hang out the washing on the Siegfried Line« , sang Jenkins, während der Fahrstuhl ihn in die sechste Etage brachte.(Mister Jenkins singt hier einen im Zweiten Weltkrieg populären Song von Jimmy Kennedy. Als »Siegfried-Linie« bezeichneten die Alliierten das militärische Verteidigungssystem entlang der deutschen Westgrenze.) Immer noch fröhlich pfeifend betrat er sein Apartment, warf schwungvoll die Tür ins Schloss und griff zum Lichtschalter.
    Das Licht blieb aus.
    Rupert Jenkins erstarrte. So schusselig er für Außenstehende wirkte, er hätte kaum so lange im Dienst der Neun Drachen überlebt, wenn er wirklich der Idiot gewesen wäre, den er anderen so gerne vorspielte. Seine Nackenhärchen stellten sich auf, und er wich in dem winzigen Flur instinktiv einen Schritt in Richtung Tür zurück. Jemand war in seiner Wohnung. Und er hatte auch schon eine Ahnung, wer das sein konnte.
    »Sie sind es, oder?«, fragte er unsicher in die Dunkelheit.
    »Vielleicht habe ich Sie unterschätzt«, antwortete eine nur zu vertraute weibliche Stimme aus dem Wohnzimmer. »Aber das wird mir nicht noch einmal passieren. Kommen Sie näher und lassen Sie das Licht aus!«
    Die Stimme war leise und schneidend wie ein Skalpell. Für eine Sekunde überlegte Jenkins, einfach die Tür aufzureißen und wegzulaufen. Doch er wäre kaum weiter gekommen als bis zur nächsten Wohnungstür. Also fügte er sich seufzend in sein Schicksal und tat wie ihm geheißen.
    Warum immer ich? , dachte der schlaksige Brite frustriert. Konnte er nicht einmal Besuch von etwas umgänglicheren Leuten bekommen? Einem ganz normalen drogensüchtigen Raubmörder zum Beispiel? Warum musste es immer diese verrückte Killertussi sein?
    Wenigstens hatte er sich nichts vorzuwerfen. Jenkins hatte nichts getan, was ihm die Ex-Killerin übel nehmen könnte. Also standen die Chancen gut, dass sie nur mit ihm reden wollte.
    Andererseits ist die Braut völlig irre. Wenn die durchknallt, dann gute Nacht, Rupi.
    Das Licht einer Stehlampe flammte an. Der Sessel daneben war leer. Eine Einladung. Sein ungebetener Gast saß im Sessel gegenüber. Obwohl Chin-Lis Gesicht fast völlig im Schatten lag, konnte Jenkins deutlich erkennen, dass sie übel zugerichtet war. Die linke Wange sah aus, als wäre sie von einem Vorschlaghammer getroffen worden. Die Haut war aufgerissen und hatte sich rotblau verfärbt.
    »Gott, Mädchen, was ist denn mit Ihnen passiert?«, entfuhr es Jenkins. Er war aufrichtig schockiert. »Brauchen Sie ein Pflaster? Oder Aspirin?«
    »Setzen!«, befahl Chin-Li scharf.
    Auch ohne Sonnenbrille war ihr Gesicht eine undurchdringliche Maske. Doch Jenkins konnte spüren, wie es unter der Oberfläche brodelte. Was immer dieser Frau zugestoßen war, es hatte sie verdammt sauer gemacht. Und sie besaß eine Waffe, die direkt auf sein Herz gerichtet war.
    Wirklich beunruhigend fand der britische Ex-Agent jedoch den Schalldämpfer auf der Beretta. Gar nicht gut , dachte er, ganz und gar nicht gut. Denn das bedeutete, dass sich die junge Chinesin diesmal vielleicht nicht damit zufrieden geben würde, dramatisch mit der Wumme rumzufuchteln und ihm eine Scheißangst einzujagen.
    Jenkins wusste, dass Chin-Li schon vor Jahren dem Töten abgeschworen hatte, aber in dieser Situation hätte er keinen Cent darauf verwettet, dass sie sich auch daran hielt.
    Seufzend ließ sich der Brite nieder. »Okay, schießen Sie los. Äh, ich meine: Was kann der liebe Onkel Rupert für Sie tun?«
    Der Brite wusste nicht genau, was er erwartet hatte, aber es war ganz sicher nicht das, was als nächstes kam.
    »Was wissen Sie über meine Eltern?«
    »Ihre… was?«
    Wenn Chin-Li ihm allen Ernstes verkündet hätte, sie wäre genau so, wie sie hier vor ihm saß, aus dem Ei geschlüpft, es hätte ihn nicht mehr

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