091 - Ein Geist kehrt zurück
Selbsterhaltungstrieb oder das Schlafmittel?
Aber wie auch immer; es würde keinen Einfluß auf die Tatsache haben, daß Campas verloren war. Die Angst in ihm zerriß den Schlaf wie einen dünnen Faden.
Campas' Lider flatterten kurz, dann hoben sie sich. Er erwachte wie aus einer tiefen Ohnmacht und starrte den Mann an, der neben seinem Bett stand.
Der Mondschein war hell genug, um ihn jede Einzelheit des grausam verzerrten Gesichts erkennen zu lassen, und er wußte mit peinigender Deutlichkeit, daß er keinen Alptraum hatte.
Der Dieb war wieder da!
Vergangene Nacht hatte er Stan Vandell umgebracht, und nun…
Campas wollte schreien, doch aus seiner zugeschnürten, trockenen Kehle kam nur ein krächzender Laut, so schwach, daß er Ken Anderson nicht wecken konnte.
Ich weiß, wer der Täter ist! dachte Campas verzweifelt. Aber ich kann es niemandem mehr sagen!
Er hatte sich so sehr gegen den Schlaf gewehrt, war von diesem aber dennoch übermannt worden. In diesen letzten Augenblicken vor seinem Ende begriff er jedoch, daß er auch verloren gewesen wäre, wenn er bis jetzt wach geblieben wäre.
Er hätte die Klinik verlassen müssen, dann hätte er vielleicht noch eine Chance gehabt, mit dem Leben davonzukommen. So aber war er dem Unhold mit den strahlenden Händen rettungslos ausgeliefert.
Der Schreckliche streckte seine Höllenhände vor.
Campas zuckte zusammen. Er wußte, was passieren würde.
Ganz genau konnte er sich an Stan Vandells Ende erinnern. Jede Phase des grausamen Mordes war ihm noch bestens bekannt.
Ich will nicht sterben! schrie es in Campas. Ich will nicht… Und schon gar nicht auf diese schreckliche Weise. Himmel, hilf mir! Steh mir bei! Wende dieses entsetzliche Unheil von mir ab!
Das Strahlen wurde intensiver, und in diesem Schein erkannte Lane Campas die tödlichen Wolfszähne.
Er zitterte wie Espenlaub, wollte abwehrend die Hände heben, doch sie gehorchten ihm nicht. Die Todesangst lähmte ihn. Gleich würde der Schreckliche dem Wolfsgebiß befehlen, zuzubeißen, und niemand würde verhindern können, daß es geschah.
Da kam der Befehl.
Es hörte sich an wie das aggressive Zischen einer Schlange, und dann spürte Lane Campas einen wahnsinnigen Schmerz…
***
Campas' Tod wurde diesmal nicht vom Bettnachbarn bemerkt, denn Ken Anderson schlief bis zum Wecken durch. Schwester Sandra kam, um die Thermometer auszugeben.
Nachdem sie die Werte in die am Fußende jeden Bettes hängende Tabelle eingetragen hatte, würde sie nach Hause gehen. Jedenfalls hatte sie das vor, bevor sie das Krankenzimmer betrat, das mit Campas und Anderson belegt war.
Die Fiebermesser, die in einem Glas staken, wären der Krankenschwester beinahe aus der Hand gefallen, als sie Campas sah. Es bestand für sie nicht der geringste Zweifel, daß der Mann tot war, dennoch alarmierte sie Dr. Fisher.
Anderson war wie vor den Kopf geschlagen, als er begriff, was sich zugetragen hatte, während er schlief. Die Angst seines Bettnachbarn war berechtigt gewesen.
Man hätte sie ernst nehmen sollen. Alle hätten das tun sollen. Statt dessen hatte Schwester Sandra den Patienten mit einer Schlaftablette »abgespeist«.
Was hatte er dem Chefarzt so Wichtiges zu sagen gehabt?
Dr. Winger würde es nun nicht mehr erfahren.
Schwester Sandra machte sich Vorwürfe, daß sie sich nicht mehr angestrengt hatte, den Chefarzt zu erreichen. In ihrem Hinterkopf setzte sich ein lästiges Schuldgefühl fest.
Wäre Lane Campas am Leben geblieben, wenn es ihr gelungen wäre, den Chefarzt in die Klinik zu holen? Diese Frage würde wohl niemals beantwortet werden.
Es war Schwester Sandra unmöglich, einfach ihren Dienst zu beenden und nach Hause zu gehen, als wäre nichts passiert. Sie mußte wenigstens auf Dr. Wingers Eintreffen warten. Das glaubte sie Campas schuldig zu sein.
Aber jemand mußte sich um ihren Jungen kümmern. Sie rief deshalb ihre Nachbarin, Mrs. Brimsdale, eine sehr hilfsbereite Frau, an und sagte ihr, daß sie noch nicht weg könne.
»Machen Sie sich keine Sorgen«, beruhigte sie Mrs. Brimsdale. »Ihr Sohn kommt rechtzeitig zur Schule, und sein gewohntes Frühstück kriegt er auch.«
Der Chefarzt erschien um sieben Uhr in der Klinik, und Dr. Fisher und Schwester Sandra überfielen ihn gleich mit der Hiobsbotschaft. Dr. Winger reagierte auf den Tod des Patienten mit Bestürzung.
Hier ging es nicht mit rechten Dingen zu, das wußte Vance Winger nicht erst seit seinem Gespräch mit Campas.
Schweren Herzens
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