0910 - Blutliebe
wenig enttäuschte, dann war er an der Tür, und Romana hörte das typische Geräusch, das entsteht, wenn der Schlüssel umgedreht wird.
Jetzt konnten sie nicht mehr gestört werden.
Der Vampir kehrte zurück. Romana hatte den Kopf ein wenig nach rechts gedreht. Die Gestalt geriet in den schwachen Lichtschein, wo sie eigentlich hätte einen Schatten werfen müssen, was bei ihr allerdings nicht der Fall war.
Der Besucher warf keinen Schatten, und Romana erinnerte sich daran, gelesen zu haben, daß die Vampire schattenlos waren und auch kein Spiegelbild hatten.
Neben dem Bett blieb er stehen und schaute sie an. Er war so nahe, daß sie ihn riechen konnte. Seine dunkle Kleidung strahlte den Geruch alter Erde ab. Moder und Fäulnis vermischten sich miteinander, ein widerlicher Geruch für einen normalen Menschen, aber nicht für Romana, denn er kam ihr vor wie ein herrliches Parfüm. Sie würde sich an den Geruch gewöhnen müssen, zumindest für die Zeit, in der sie noch als normaler Mensch lebte.
Er ging in die Knie.
Romana lächelte, als sie sein Gesicht sehr bald schon aus der Nähe sah. Es war bleich, aber trotzdem von einem Muster aus schmalen Rissen und Falten umgeben, als hätte jemand mit einem spitzen Stift in die Haut eine Karte gezeichnet. An seinem Mund klebten noch verschmierte, rote Reste.
Sicherlich kein Lippenstift, sondern Blut, das sich dünn verteilt hatte.
Er hatte schon getrunken. Jemand hatte bereits vor ihr dieses wunderbare Erlebnis gehabt. Romana freute sich für ihn und mit ihm. Zugleich stieg ein ängstliches Gefühl in ihr hoch, denn sie fürchtete sich davor, daß er satt sein könnte und deshalb ihr Blut nicht mehr brauchte. Dann würde sich für sie nichts ändern. Dann würde sie sich wieder nur durch die Hilfe des Rollstuhls bewegen können. Sollte sie ihn fragen? Sollte sie ihm einfach vertrauen?
Ja, vertrauen!
Es war besser, denn durch irgendwelche Fragen konnte er nur gestört werden.
Er kniete nieder.
Seine Bewegungen waren überhaupt nicht hektisch, sondern von einer wunderbaren Leichtigkeit.
Kaum hatten seine Knie den Boden berührt, als er die Arme ausbreitete und sie schützend über der Bettdecke schweben ließ. Eine typische Geste, die sagen sollte, daß die Person jetzt ihm, ihm ganz allein gehörte.
Obwohl sie es nicht wollte, atmete Romana heftig. Sie spürte auch den Druck in ihrer Brust. Dort hatte sich etwas zusammengezogen, ohne aber Schmerzen zu hinterlassen. In ihr mischten sich Furcht und Erwartung. Sie drängten alles andere in den Hintergrund.
Er nickte.
Romana sah es als eine Aufforderung an, den Besucher endlich anzusprechen. »Ich habe so auf dich gewartet!« hauchte sie. »Ich wußte ja, daß du mich nicht im Stich lassen würdest, aber die Zeit ist mir so lang vorgekommen. Wer bist du? Wo kommst du her? Hast du auch einen Namen?«
Der Vampir nickte.
»Dann sag ihn…«
Er schüttelte den Kopf.
»Warum willst du ihn nicht sagen?«
»Fremd«, preßte er hervor. »Anderes Land. Viele Tote, Blut, Waffen…« Sein Mund verzerrte sich, als er sich öffnete. Es befanden sich noch Blutreste darin. Als dicker, schleimiger Tropfen floß er über die Unterlippe hinweg, blieb für einen Moment an einem dünnen Faden hängen und fiel dann auf ihre Brust, wobei das Blut einen roten Fleck auf dem kostbaren Stoff hinterließ.
Seine Arme, die bisher noch über dem Körper geschwebt hatten, senkten sich langsam wieder. Die Hände berührten die Decke. Für einen Moment blieben sie dort liegen, als wollten sie den sich dünn darunter abzeichnenden Körper streicheln, was auch der Fall war, denn von zwei verschiedenen Seiten wanderten die Hände dem Gesicht der Frau zu, die diese Bewegung sichtlich genoß.
Romana konnte das leise Stöhnen einfach nicht mehr unterdrücken. Nicht nur die Hände bewegten sich. Im selben Tempo glitt auch der Oberkörper des Blutsaugers auf sie zu, und der Kopf näherte sich allmählich ihrem Gesicht.
Ihr Blickfeld dunkelte ein, als sich die Gestalt des Vampirs in das Licht der Lampe hineingeschoben hatte. Für Romana war es wie der erste Schritt in eine andere Welt hinein, die sie sehr bald umfangen würde. Eine Welt der Toten und der Kälte, der Schatten, der absoluten Finsternis und der Gier nach dem Blut der normal lebenden Menschen.
Still lag sie da, ganz still. Die Arme und Hände unter der Bettdecke verborgen, wobei sie die Hände zu Fäusten geballt hatte, was etwas von ihrer Verkrampfung verdeutlichte.
Sehr lange
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