0910 - Blutliebe
parallel zur Wand zu gehen, um beim zweiten Abstoßen in die Tiefe zu fallen. Für einen Moment sah es auch so aus, denn Jane Collins schwankte und zitterte in die Luft; sie klebte dennoch an der Hauswand. Irgendwie mit dem Fuß erreichte sie die Fensterbank, stemmte sich dort ab und griff gleichzeitig dorthin, wo ihre Hände Halt finden sollten. Sie bekam die rauhe Ecke der Fenstereinbuchtung zu fassen, und das Gefühl der Sicherheit durchströmte sie wie ein warmer Fuß.
Geschafft.
Sie zog den Fuß nach.
Er fand Halt.
Das Fenster war noch offen. Jane brauchte sich nur nach links zu drücken, um sich in die Wohnung fallen zu lassen.
Sie tat es - und…
Da war der Schatten. Da war das Gesicht. Da war die Frau. Da war das Blut!
Zahlreiche Eindrücke zugleich stürzten auf Jane Collins ein. Doch all dies war von minderer Bedeutung, für sie zählte einzig und allein das, was der andere tat.
Er wuchtete sich nach vorn und zugleich gegen sie. Der Aufprall war nicht zu vermeiden.
Jane spürte noch, wie sie von der Fensterbank abrutschte, dann fiel sie in die Tiefe…
***
Der Blutsauger richtete sich auf. Er drehte sich dabei, so daß das weiche Kunstlicht der Lampe wieder freie Bahn hatte und auch seine Gestalt erreichte.
Es streifte auch sein Gesicht, das sich im Prinzip nicht verändert hatte, aber trotzdem anders aussah.
Das Rot der Wangen fiel auf. Verschmiertes Blut!
Er stöhnte auf, war zufrieden, fühlte sich satt und warf einen Blick auf die Gestalt, die blutleer und bewegungslos auf dem Bett lag. Sie war durch seinen Biß eingegangen in seine Welt, in das Reich der Finsternis, in dem sie für immer bleiben würde, auch wenn sie diese Welt als Untote verließ.
Sie würde jetzt lange »schlafen«, aber irgendwann, wenn die erste Gier und der Durst nach Blut zu groß wurden, wieder erwachen, um sich auf die Suche zu begeben.
Der Blutsauger wischte über das Blut. Dann zuckte die Zunge hervor, um letzte Spuren von den Lippen zu lecken. Sein Gesicht war noch immer so bleich, aber in seinem Körper spürte er die unnatürliche Wärme, diesen Kraftstrom, den er gebraucht hatte. Seine Rache hatte er von langer Hand vorbereitet, und er hatte sie erfüllen können. Zumindest hatte er den Anfang gemacht und sich die wichtigste Person geholt.
Alles war in Ordnung. Er würde die Frau hochnehmen und in seine Welt schaffen. In ein Versteck, das nur er kannte in das er auch sein erstes Opfer zerren wollte.
Es war gut gelaufen, es war okay, es gab…
Er stutzte.
Etwas gefiel ihm nicht.
Seine übersensiblen Sinne reagierten wie Sensoren. Sie hatten ihm eine Warnung zukommen lassen.
Der Vampir gehörte zu den Wesen, die Menschen spürten, die genau merkten, wer sich ihnen näherte.
Und dieses Gefühl war jetzt da.
Es kam jemand.
Er schlich vom Bett weg. Sein Kopf bewegte sich, die Augen durchforschten das Zimmer.
Wo war der Mensch?
Er schaute auf sein Opfer.
Nein, sie hatte damit nichts zu tun. Diese Frau lag still und wartete auf ihr Erwachen. Und sie würde wieder normal laufen können, das wußte er auch.
Da kam jemand anderer.
Nicht an der Tür, nicht aus dieser Richtung. Eigentlich gab es nur eine zweite, das Fenster!
Er drehte sich ihm langsam entgegen. Sein Schuhwerk kratzte über den Teppich, das Gesicht war zu einer Maske geworden, kreisrunde Augen, ein halb geöffneter Mund, Zähne, die schimmerten und bißbereit waren.
Stieg jemand über seine Leiter an der Hauswand nach oben? Daran glaubte er nicht, zudem hätte er die Tritte auf dem Metall hören müssen. An der Hauswand waren plötzlich andere Geräusche zu hören.
Der Blutsauger erinnerte sich an die blonde Frau, die er auf dem Grundstück gesehen hatte. Sie waren nahe des Gartenhauses beinahe zusammengetroffen. Ihm war es im letzten Augenblick noch gelungen, sie von dort wegzulocken. Er hatte sofort gespürt, daß sie zu den Menschen gehörte, die nicht so leicht aufgaben. Er hatte sie auf seine Liste gesetzt, wollte sie aber für später aufbewahren.
Die Geräusche blieben. Neben dem Bett stehend streckte sich der Vampir. Er drückte seine Arme vom Körper weg und machte die Finger lang. Auch an dieser trockenen Haut klebten noch an verschiedenen Stellen Blutreste. Er war einige Male mit seinen Händen über das Gesicht des Opfers gefahren und hatte dabei Blut verschmiert. So etwas kam bei seiner »Nahrungsaufnahme« immer vor.
Der Untote löschte das Licht nicht. Es tat ihm nichts, es schwächte ihn nicht, es war nicht das Licht
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