0910 - Der Totflüsterer
Knie. Tränen rannen seine Wangen hinab und ein leises Wimmern drang aus seinem Mund.
Drei Menschen, die für ihn das Wichtigste auf Erden gewesen waren, waren binnen weniger Augenblicke getötet und ausgelöscht worden. Und Riley hatte er selbst auf dem Gewissen! Der Junge war unter dem Blitz gestorben, den er, Logan, gerufen hatte! Er war der Mörder seines Bruders!
»Bemerkenswert!«
Logan fand nicht die Kraft, auf dieses Wort des Fremden zu reagieren.
»Deine Wut ist genährt! Bald bist du bereit für die Vereinigung. Bei meinem nächsten Besuch, spätestens beim übernächsten!«
Als Logan nach einer Ewigkeit den Kopf hob, war der Dämon verschwunden.
Tot! Sie waren alle tot!
Nein! Nicht alle! Selverne lebte. Oder?
Wie benommen stemmte er sich hoch und schlurfte zurück ins Haus. Drinnen blickte er auf die langsam schwingenden Leichen und den leeren Strick, der neben ihnen hing. Dann sah er Selverne, die immer noch auf dem Stuhl stand und seinen Blick aus von Tränen verhangenen Augen erwiderte.
Sie war ihm geblieben!
Weshalb auch immer! Der Fremde hatte seine Geliebte verschont und war verschwunden.
Er trat neben Selverne und nahm ihr die Schlinge ab.
Danach zog er sie vorsichtig vom Stuhl und presste sie fest an sich.
Weinend und schluchzend.
Im Beisein der Toten.
***
Fooly starrte Rhett aus großen Augen an. In ihnen schimmerten Tränen. »Das ist ja furchtbar!«
Rhett nickte. »Und weißt du, was das Schlimmste daran ist? Die Erinnerung ist plötzlich so frisch, als wäre es gerade erst geschehen. Das ist… ist…«
»Voll ätzend?«, half Fooly aus.
Wider Willen musste Rhett nun doch lächeln. »Genau. Voll ätzend.«
»Ich will dich nicht weiter quälen, aber was ist danach passiert? Was war mit Selverne?«
Rhett starrte an die Wand. Dann stand er mit einem Ruck vom Bett auf und sah Fooly an. »Selverne ist fünf Jahre später gestorben. Seit jenem Tag hat sie kein Wort mehr gesprochen. Ich… Logan musste sie füttern, sie bei jedem Schritt führen, ihr den Ar… also, äh, sie putzen, wenn sie auf den Klo war.«
»Oh Mann!«, ächzte Fooly. »Das ist heftig.«
Rhett nickte. »Das ist es.«
»Was war mit dem Dämon? Was ist bei seinem nächsten Besuch passiert?«
»Das ist es ja, was ich nicht verstehe. Er hat gar nichts gemacht! Es hat nämlich keinen nächsten Besuch mehr gegeben. Ich habe den Kerl an diesem Tag das letzte Mal gesehen.«
Nun wurden Foolys Augen noch größer.
***
Bald war es soweit! Allzu deutlich war die Zerrüttung von Cedric Sandrus Geist bereits zu spüren.
Agamar drückte Pereires rechten Fuß fester auf das Gaspedal des Renault. Er musste sich beeilen. Dass er wegen des weiß gewandeten Magiers seinen Hunger anders als geplant stillen musste, hatte seinen Zeitplan gehörig durcheinandergebracht. Außerdem hätte er nie damit gerechnet, dass es bei der letzten Seele so schnell gehen würde! Natürlich war ihm aufgefallen, dass die Zeit zwischen den einzelnen Mahlen immer kürzer ausfiel, je weiter er in seiner Neuwerdung fortschritt. Dieses Tempo überraschte ihn dann aber doch.
Geleitet von der Anziehung, die die Seele auf ihn ausübte, bog er noch einmal links ab und fuhr schließlich in die Straße, in der Sandru lebte. Noch!
Dessen Wohnung war zwar noch etwa einen Kilometer entfernt, die Erfahrung mit dieser dämlichen Ziege, die sich von einem LKW hatte überfahren lassen, bewog ihn aber dazu, den Renault bereits hier an den Straßenrand zu fahren und den Rest der Strecke zu Fuß zu gehen. Nicht dass er im Augenblick der endgültigen Neuwerdung wieder im Verkehr stecken blieb!
Warum war es überhaupt nötig, in der Nähe der Seele zu sein, wenn sie den Körper des Opfers verließ? Er konnte sie schließlich über große Strecken hinweg spüren! Warum konnte sie dann nicht über ähnlich große Strecken zu ihm kommen? Warum musste das Seelenmahl etwas so… beinahe schon Intimes sein?
Hör auf, dich über den Zauber zu beschweren. Freu dich lieber, dass du ihn beherrschst!
Da war sie wieder, diese Stimme! Was für eine Erleichterung, wenn die Neuwerdung endlich abgeschlossen war und er Pereires Körper endgültig umgewandelt hatte. Dann hätte er auch Ruhe vor diesem lästigen Besserwisser!
Bist du dir da so sicher? Was, wenn ich gar kein Überbleibsel des Wirtes bin, den du derzeit deine Heimat nennst?
»Natürlich bist du das! Was denn sonst? Etwa ein Teil von mir? Verliere ich den Verstand? So wie Sandru und die ganzen Seelenspender vor
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