0910 - Der Totflüsterer
handelte!
***
Als die Schüsse aufpeitschten, fuhr Zamorra zusammen und wirbelte herum.
Vor der Tür neben Appartement 2.1. stand der Vertreter, der mit ihnen ins Haus gekommen war. Sein Koffer lag offen auf dem Boden und überflutete den Boden mit farbenfrohen Werbeprospekten für Lebensversicherungen. Er sah an sich herunter, im Blick eher Überraschung und Fassungslosigkeit als Schmerz. Bei jeder Kugel, die in seinen Körper schlug, taumelte er etwas zurück.
Obwohl diese Information im Augenblick völlig nutzlos war, traf Zamorra zwischen zwei Schüssen die Erkenntnis, dass nicht er vor Appartement 2.2. stand, sondern der Vertreter. Er hatte sich geirrt: Die Ziffer, die an seiner Tür fehlte, war nicht die erste, sondern die zweite gewesen. Hätte er dies gleich gemerkt und wäre zur richtigen Wohnung gegangen, müsste nun er als Kugelfang herhalten. Stattdessen hatte es den Vertreter getroffen, der wohl vom Professor unbemerkt aus einem der anderen Treppenhäuser gekommen war.
Die Tür spuckte Holzsplitter und Kugeln. Die Projektile, die nicht in den Mann im grauen Anzug einschlugen, stanzten Löcher in die gegenüberliegende Wand, aus denen Putz- und Ziegeltrümmer spritzten.
Zamorra stand fassungslos da. Er sah, was geschah, und konnte nicht eingreifen, ohne selbst zur Zielscheibe zu werden.
Das Schussgewitter dauerte nicht lange und doch hatte Zamorra das Gefühl, es nehme überhaupt kein Ende mehr.
Aber es nahm ein Ende!
Der Vertreter brach zusammen.
»Oh, mein Gott! Chérie!« Auch in Nicoles Miene lag Entsetzen.
Die Tür öffnete sich und Cedric Sandra trat einen Schritt in den Flur. Seine Augen rollten in den Höhlen, als er auf den Verletzten herabstarrte und irre zu lachen begann.
Sein Kreischen glich einem Falsett. »Hab ich dich! Ich hab gleich gewusst, dass ihr mich nicht bekommt!«
Zamorra begann zu rennen.
Als Sandru aus den Augenwinkeln die Bewegung bemerkte und aufsah, verstummte sein Lachen. Sein Blick irrte zwischen Zamorra und dem Vertreter hin und her. »Aber, aber ich hab dich erschossen! Warum…«
Der Professor sprang ihn an und riss ihn um. Er hämmerte ihm mit der Faust aufs Handgelenk, wollte ihm die Pistole aus den Fingern schlagen, doch Sandru umklammerte die Waffe mit stählernem Griff.
Zamorra wusste nicht, ob noch Kugeln im Magazin steckten. Er hatte die Schüsse nicht mitgezählt und selbst wenn, hätte ihm das nichts genützt. Weder wusste er, was für eine Pistole das war, noch wie viele Patronen das Magazin fasste. Er durfte nicht riskieren, dass Sandru noch einmal abdrücken konnte.
Der Wahnsinnige versuchte, sich unter Zamorra hervorzuwinden. Ein aussichtsloses Unterfangen gegen einen Mann, der, wenn es die Zeit erlaubte, täglich trainierte: Kraft, Ausdauer, Kampfsport.
»Brauchst du Hilfe?«, fragte Nicole hinter ihm.
Zamorra lag auf Sandru und presste dessen Handgelenke zu Boden. Als er spürte, dass der Widerstand erlahmte, ließ er blitzschnell mit der rechten Hand los und hämmerte Sandru die Faust gegen die Schläfe. Der konnte gerade noch verdutzt schauen, dann - verdrehte er die Augen und erschlaffte.
»Nein! Ruf einen Krankenwagen und kümmer dich um den Verletzten!«
Der Professor stemmte sich von Sandru herunter und wand ihm die Pistole aus der Hand. Dann zog er den Gürtel aus Sandrus Hose, drehte den Ohnmächtigen auf den Bauch und fesselte ihm die Arme hinter den Rücken.
Als er aufstand, hielt Nicole ihr TI Alpha Handy gegen das Ohr gepresst.
Mit der anderen Hand drückte sie auf den Knopf für den Raumlautsprecher, dass auch Zamorra mithören konnte.
Chefinspektor Pierre Robins Stimme erklang. »…ankenwagen ist auf dem Weg.«
Nicole nickte. »Danke.«
»Eure Bekanntschaft ist wirklich stressig! Erst diese merkwürdigen Kokons bei Edouard Pereire, dann Roger Luynes und jetzt auch noch eine Schießerei!«
»Wieso Luynes? Was ist mit denn dem?«
Für einen Augenblick herrschte Stille. »Ihr wisst es noch gar nicht?«
»Was wissen wir noch nicht?«, mischte Zamorra sich ein.
»Luynes ist tot!«
»Was?«, riefen Nicole und Zamorra unisono.
»Ich stehe gerade neben ihm.«
»Was ist passiert?«
»Nach meinen bisherigen Informationen hat er im Büro einen Anruf erhalten und ist danach sofort zu seiner Villa aufgebrochen. Wie ihr vielleicht wisst, wohnte er dort schon seit einigen Wochen nicht mehr und hat sie zum Verkauf angeboten. Madame Thysler, seine Sekretärin, hat erzählt, es habe sich ein Interessent gemeldet, der bald ins
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