0915 - Macht des Schicksals
dein Tod diesmal endgültig sein.«
»Du solltest es dir überlegen!«
Ich nickte ihm zu und senkte beim Sprechen meine Stimme zu einem Flüstern. »Das habe ich bereits, St.Clair. Ich habe mir alles sehr gut überlegt, und ich muß dieses Risiko einfach eingehen. Ich habe auch gelernt, nicht immer auf der Straße des Siegers zu stehen. Man kann auch Niederlagen in Siege umwandeln, das ist eine Sache der Einstellung. Man kann aus ihnen lernen, und ich bin noch immer lernfähig.«
»Ich glaube dir«, sagte er. »Ich glaube dir alles. Aber diese Niederlage wird dich fertigmachen. Sie wird dich in ein tiefes Loch werfen, aus dem du kaum wieder hervorkommen wirst. Der Anblick deines Vaters und deiner Mutter wird sich in deine Erinnerung einprägen und dort nie mehr verschwinden. Es wird dich für immer und ewig beeinflussen, und du wirst davon nie mehr loskommen. Du wirst geschwächt sein, denn so hat es mir der Teufel angekündigt. Er tat mir einen Gefallen, ich habe ihm einen getan…«
Ich wußte ja, daß er recht hatte. Ich wußte alles, aber ich war nicht in der Lage, ihm das Gegenteil zu beweisen. So wie ich fühlte sich jemand, dem der Boden unter den Füßen weggezogen wurde, wobei der Mensch tiefer und tiefer fiel, um irgendwann in einem Schacht zu landen, der als Vorhof der Hölle bezeichnet werden konnte und wo er seelisch zu einem Krüppel wurde.
War ich stark genug, um diesen Horror durchzustehen? Konnte ich gegen die Macht des Schicksals ankämpfen?
Hätte ich einen Spiegel zur Hand gehabt und hätte ich mich darin betrachtet, so wäre ich mir sicherlich wie eine Steinfigur vorgekommen. Aber ich war noch immer ein Mensch mit Gefühlen, ich war weder eine Maschine noch eine Figur.
Aber ich besaß das Kreuz!
Es steckte nicht mehr in der Tasche. Meine Faust verbarg es. Ich hatte die Hand allerdings so hart darum geschlossen, daß die Enden des Kreuzes in mein Fleisch stachen, und ich schob den rechten Arm mit der geschlossenen Faust langsam nach vorn.
St.Clair beobachtete mich.
Ich öffnete die Hand. Das Kreuz wurde sichtbar. Matt glänzendes Silber, in das einige Zeichen eingeritzt worden waren und an den Enden die Anfangsbuchstaben der wichtigsten Erzengel-Namen.
Das bekam St.Clair zu sehen, und ich erkannte, wie ihn der Anblick getroffen hatte. Er ging ihm unter die Haut, er wurde unruhig, er haßte das Kreuz, er wollte es nicht sehen, aber er gehörte auch nicht zu den Wesen, die durch ein Kreuz vernichtet wurden. Er hatte nur als Katharer gelernt, das Kreuz zu ächten, aber es würde ihn auf keinen Fall töten können wie ein Vampir oder Zombie.
St.Clair war zwar durcheinander, aber er sagte auch: »Was soll das? Willst du mir Furcht einjagen?«
»Nicht durch den Anblick. Du weißt, daß dieses Kreuz etwas Besonderes ist. Das hat man dir gesagt. Es befand sich im Besitz des Richard Löwenherz, jetzt bin ich der Träger. Ich will dir sagen, daß in ihm eine Kraft steckt, die es auch geschafft hat, die Hölle und das Böse zu überwinden, denn es gibt einen Spruch, mit dem ich die eigentlichen Kräfte hervorholen kann.«
St.Clair blieb stumm. Nur seine Augen bewegten sich. In ihnen breitete sich Unruhe aus, er mußte etwas spüren. Sollten meine Worte ihn tatsächlich erwischt haben?
Dann drehte er sich von mir weg und schaute zur Seite, als gäbe es außerhalb der Kapelle etwas, das ihn besonders interessierte. Ich war für ihn nicht mehr da, und ich wollte den Grund wissen, deshalb schaute ich auf mein Kreuz.
Dort hatte sich nichts verändert. Nicht mal ein warmer Hauch huschte darüber hinweg. Es schien die Anwesenheit dieser Gestalt nicht zu spüren.
St.Clairs Lippen bewegten sich. Er sprach, aber ich verstand ihn nicht. Zugleich ging er vor, drehte mir den Rücken zu, lief schneller und verließ die Kapelle.
Ich ging ihm nach, und draußen trafen wir beide wieder zusammen, aber St.Clair kümmerte sich weiterhin nur um sich selbst. Er sackte in die Knie, er kam wieder hoch, schüttelte den Kopf, drehte sich um und schaute mich an.
»Was ist?«
Seine Augen waren blicklos geworden. Die Antwort dauerte. »Sie - meine Seele!« keuchte er plötzlich. »Meine Seele…«
»Was ist damit?«
»Ich muß zu ihr. Ich will sie retten! Sie ist in Gefahr! Etwas kommt auf sie zu!«
»Wo?«
»Nicht hier.«
»Meine Eltern?«
»Auch!«
Ich war blitzschnell bei ihm. »Los!« sagte ich und hielt ihn fest. »Wir werden zu zweit zurück in meine Zeit reisen. Der Teufel hat dir die Magie gegeben.
Weitere Kostenlose Bücher