0916 - Der Quellmeister und die Bestie
in Verbindung zu setzen. Hajlik war längst wieder erwacht und hatte die Nachwirkung des Schocks weitgehend überwunden. Während der humpelnde Tantha an der Probe teilnahm, brachte man ihr zu essen, was weiterhin zur Besserung ihres Zustands beitrug. Tantha unterhielt sich ausgiebig mit ihr, nachdem er auf die am vergangenen Tag geprobte Weise zu der gemeinsamen Unterkunft zurückgekehrt war, aber er erfuhr nichts Neues.
Er war noch am Überlegen, ob er in der Stunde vor der Pause der Ruhe wieder den jungen Priesteranwärter aufsuchen solle, um mit Hilfe der Gastfreundschaft des Einsamen seinen Hunger zu stillen, da ließen sich abermals draußen auf dem Gang aufgeregte Stimmen und hastige Schritte vernehmen. Tantha, dessen Wohl und Wehe davon abhing, daß er zu jeder Zeit über alles informiert war, eilte hinaus und sah, daß wie am gestrigen Tag die Priesteranwärter voller Aufregung in die Halle eilten, in der das qualmende Feuer gebrannt hatte. Der Humpelnde schloß sich ihnen an und erfuhr unterwegs, daß ein neues Opfer eingebracht worden war.
In der Halle sah er dann, um wen es sich handelte. Es war der Tolle Vollei, der den Götzendienern schließlich ins Netz gegangen war. Vollei nahm sein Schicksal längst nicht so gelassen hin wie am vergangenen Tage PankhaSkrin. Er sträubte sich gegen die, die ihn festhielten, und versuchte auszubrechen.
„Ich habe mit euch nichts zu schaffen!" schrie er. „Ich will den Gastwirt! Gebt ihn heraus und laßt mich mit ihm ziehen, so werdet ihr mich niemals wieder zu Gesicht bekommen!"
Das sah ihm ähnlich, dachte der humpelnde Tantha grimmig: An Hajlik dachte er überhaupt nicht.
Inzwischen war Verdantor zu der Gruppe von Priestern getreten, die alle Mühe hatten, den tobenden Vollei festzuhalten.
„Wir wissen nichts von einem Gastwirt", erklärte er. „Wer soll das sein?"
„Ein Fremder, der abenteuerlich aussieht!" schrie der Tolle Vollei. „Er hat keinen Schädel, und um den Oberkörper eine Art Umhang..."
„Den haben wir allerdings", fiel ihm Verdantor ins Wort. „Er wird dasselbe Schicksal erleiden wie du!"
„Was ist das?"
„Ihr werdet der Gottheit geopfert!"
Der Tolle Vollei maß den Priester mit irrem Blick. Seine Bewacher hatten ihm beide Arme nach hinten gebogen. Das Haar hing Vollei wirr ins Gesicht, und da er von seinen Peinigern loskommen wollte, stand er nach vorne gebeugt und sah Verdantor von unten herauf an.
„Der Gottheit geopfert?" antwortete er fast tonlos.
Und dann geschah es.
„Oh, nein!" schrie Vollei.
Er warf sich rückwärts. Damit hatten die Priester nicht gerechnet. Sie wichen auseinander. Dabei lockerte sich ihr Griff. Vollei war plötzlich frei. Er stürzte zwar, vom eigenen Schwung getragen, zu Boden. Aber schon im nächsten Augenblick war er wieder auf den Beinen. Wie vom Katapult geschnellt, schoß er in die Menge hinein, die neugierig den Ort des Geschehens umstand. Der erste, mit dem er zusammenprallte, war ausgerechnet der humpelnde Tantha. Der Zusammenstoß brachte beide Männer aus dem Gleichgewicht. Tantha konnte es nicht verhindern, daß seine Maskierung in Unordnung gebracht wurde. Der Teil seines Anzugs, den er in eine Kapuze verwandelt hatte, wurde nach hinten geschoben und fiel ihm auf die Schultern. Der Tolle Vollei hatte inzwischen das Gleichgewicht wiedergefunden und wollte davoneilen. Als er aber dem Humpelnden ins Gesicht sah, da huschte es wie ein Blitz über seine Züge, und seine Miene nahm einen spöttischen Ausdruck an. Er verzichtete auf die Flucht und wandte sich statt dessen Verdantor zu, der mit mehreren anderen Priestern im Begriff gewesen war, die Verfolgung aufzunehmen.
„Wen habt ihr denn da?" fragte er und deutete dabei auf den humpelnden Tantha. „Wie lange ist dieser schon bei euch?"
Verdantor, von der unerwarteten Entwicklung überrascht, trat herzu und blickte Tantha ins Gesicht.
„Er ist ein Anwärter", antwortete er. Und zu dem Humpelnden gewandt, fuhr er fort: „Bist du nicht der, der gestern am Feuer saß, als es fast schon verlöscht war?"
Tantha machte die Geste der Zustimmung. Der Tolle Vollei aber brach in ein höhnisches Gelächter aus, das so laut war, daß es von den weit entfernten Wänden des großen Raumes widerhallte.
„Ein Anwärter?" rief er. „Du meinst, er soll irgendwann ein Priester ‘werden? Der humpelnde Tantha? Der getreuliche Begleiter und Beschützer des Gastwirts?"
Verwirrt wandte sich Verdantor an Tantha.
„Ist das wahr?" fragte er.
Der
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