0916 - Der Quellmeister und die Bestie
Humpelnde war mittlerweile dabei, sich die Kapuze wieder über den Kopf zu ziehen. Verdantor aber schlug ihm die Hand beiseite und wiederholte seine Frage in energischerem Ton: „Ist das wahr?"
„Ich weiß nicht, wovon der Mann redet", antwortete der humpelnde Tantha und machte dazu die Geste des Nichtwissens.
Verdantor rief drei Priester herbei.
„Bringt diese beiden Männer in zwei getrennte Gefangenenzellen", befahl er ihnen. „Was den vermeintlichen Anwärter betrifft, so werden wir bald ermitteln, ob er echt ist oder nicht."
*
Der humpelnde Tantha war verzweifelt. Er steckte in einer Zelle, die genauso ärmlich ausgestattet war wie die Hajliks. Obendrein hatte man die Tür verriegelt. Er war gefangen. Darüber, was Verdantors Ermittlungen ergeben würden, gab er sich keinen falschen Hoffnungen hin. Die Priester wußten ganz genau, wie viele Anwärter es gab. Sie brauchten nur die echten abzuzählen, dann erkannten sie, daß er sich in der Tat eingeschlichen hatte.
Wie sollte er jetzt dem Loower helfen? Was würde aus Pankha-Skrin werden, und aus ihm selbst?
Dutzende von Malen versuchte er seine Kraft an dem Riegel. Aber der Erfolg blieb ihm versagt. Man hielt ihn offenbar für einen besonders wichtigen Gefangenen. Denn als ihm an diesem Abend das Essen gebracht wurde, da sah er drei Priester draußen vor der Tür. Er fragte: „Was hat Verdantors Ermittlung ergeben? Ist meine Unschuld noch immer nicht bewiesen?"
„Das weißt du selbst", antwortete einer der drei. „Du bist ein Schwindler und sollst besonders kräftig gefüttert werden, damit Kukelstuuhr dich bei der Opferfeier ja nicht übersieht!"
Tatsächlich bekam der humpelnde Tantha eine besonders große Schüssel voll Brei und zwei Krüge Wasser statt des einen, der üblicherweise ausgehändigt wurde. Danach schlossen die drei Priester die Tür und verbrachten mehrere Minuten damit, sie von außen sorgfältig zu verriegeln. Der Humpelnde machte sich inzwischen über seine Mahlzeit her und verzehrte alles bis auf den letzten Bissen -nicht weil er dem Götzen besonders gefallen wollte, sondern weil er fühlte, daß er bei den bevorstehenden Ereignissen jedes Quantum Kraft brauchen werde.
Der Tag verstrich in quälender Ereignislosigkeit. In der nächsten Pause der Ruhe, der letzten vor der großen Opferfeier, hörte man aus den Tiefen der Schleierkuhle dumpfes Rumoren. Es klang, als finde in der Halle des Oberpreisters eine Schlacht statt.
Stunden später wurde die Zellentür geöffnet. Draußen standen wiederum drei Priester, von denen einer mit feierlicher Stimme verkündete: „Der Augenblick des großen Opfers ist gekommen! Die Gottheit soll sich deiner erfreuen!"
Der humpelnde Tantha trat in den Gang. Dort standen bereits fünf weitere Opfer, unter ihnen Hajlik und der Tolle Vollei. Hajlik hatte Tränen in den Augen, Vollei dagegen starrte trotzig vor sich hin. Tantha trat auf ihn zu und sagte: „Du mußt stolz auf das sein, was du diesem Mädchen und mir angetan hast!"
„Sei still!" fuhr ihn der Tolle Vollei an. „Sie ist schuld an allem!"
Der Zug, geführt von den drei Priestern, setzte sich in Bewegung. Die Priester öffneten eine Tür nach der andern, und an jeder sagte einer von ihnen den feierlichen Spruch. Pankha-Skrin war der letzte, den man aus seiner Zelle holte. Der humpelnde Tantha suchte sofort seine Nähe.
„Ich habe versagt", bekannte er. „Ich habe meine Fähigkeiten überschätzt und bin dadurch nicht mehr in der Lage, für deinen Schutz zu sorgen. Vergib mir, bitte!"
Der Quellmeister richtete beide Augen auf ihn und antwortete mit sanfter Stimme: „Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen, mein Freund. Was uns widerfährt, geschieht aufgrund einer Entscheidung, die das Schicksal getroffen hat. Ich bin voller Zuversicht. Zwar erscheint unsere Lage bedrohlich.
Aber ich glaube nicht, daß es der Wille des Schicksals ist, den Quellmeister, der nach Hunderttausenden von Jahren unaufhörlicher Suche eine Spur der Materiequelle endlich gefunden hat, zuschanden werden zu lassen."
Der humpelnde Tantha blickte traurig zu Boden.
„Ich verstehe nicht, was du da sagst", meinte er. „Ich höre aber, daß du voller Hoffnung bist. Ich wollte, ich könnte dasselbe von mir behaupten. Es sitzt aber etwas in meinem Gehirn, das mir sagt, daß ich den heutigen Tag nicht überleben werde."
„Laß diese Stimmung deine Handlungen nicht beeinflussen!" warnte der Loower. „Es geschieht oft, daß die Todesahnung zum
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