0917 - Laertes' Grab
er dem oberen Rand des Felsplateaus entgegen, ganz so, als wäre er ohne jedes Gewicht. Die Schwerkraft schien ihn nicht anzurühren.
Zumindest das war ihnen geblieben, als sie vor mehr als 300 Planetenjahren hier ihre Zuflucht gesucht und gefunden hatten.
Kylion fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Wieder einmal nicht. Dennoch genoss er das senkrechte Aufwärtsschweben in vollen Zügen. Dort oben würde er seine Ruhe haben. Wie viel Zeit er dort verbringen würde, konnte er nicht einmal schätzen - zu unterschiedlich waren die Intervalle, die ihn stets in diese hohen Gefilde trieben. Und nicht nur ihn alleine, denn viele seiner männlichen Artgenossen wählten dieses Hochplateau zu ihrem Ziel, wenn es wieder einmal geschehen war.
Oben angelangt landete Kylion sanft und anmutig. Seine nackten Füße schienen sich regelrecht darüber zu freuen, nun wieder ihre Arbeit tun zu können, denn wenn Kylion flog, verloren sie ihren angestammten Zweck. Der Neslin blickte sich um.
Überall waren die Steinplatten zu sehen, die man als Abdeckung für die Gräber benutzte, das Plateau war mit ihnen regelrecht übersät.
Kylion ging langsam zwischen den Grabreihen umher. Er kannte die Lage jedes einzelnen Grabes nur zu genau, denn er war bei allen Bestattungen dabei gewesen. Mehr noch - viele der Grabplatten hatte er gefertigt und mit Ornamenten und alten Motiven verziert. Man sagte Kylion geschickte Finger nach. Er hielt sich für keinen Künstler, auch wenn andere ihm da vehement widersprachen.
Er blieb stehen, drehte sich langsam um die eigene Achse.
So viele Gräber, so viele Tote…
Die Neslin waren eine extrem langlebige Rasse, doch sie waren weder unsterblich noch unverwundbar. Die Kräfte und Fähigkeiten, die in ihren Körpern ruhten, waren auf dieser Welt verblasst, verzehrt… und nur ihre Fähigkeit, sich schwerelos zu bewegen, war ihnen hier geblieben.
Das war einmal anders gewesen, radikal anders! Leid bringend waren sie von Planet zu Planet gezogen, hatten Gewalt und Hoffnungslosigkeit mit sich geführt, denn sie waren die Vorboten des Todes. Ja, Kylion sah die Bilder vor seinem inneren Auge - dort waren sie für alle Zeit tief eingebrannt. Das alles war lange her und vorbei. Die Neslin hatten es selbst so gewählt.
Kylion atmete tief ein. 15.000 waren sie gewesen, 15.000 Gestrandete, die in einem gemeinsamen Kraftakt die Flucht bewerkstelligt hatten.
Eine kopflose Flucht…
Überhastet, schlecht geplant - im Grunde sogar ohne jede wirkliche Planung, denn die Chance hatte sich ganz plötzlich aufgetan und hatte sofort genutzt werden müssen. So viele Neslin konnten nicht daran teilnehmen, denn sie waren zwischen den Sternen verstreut. Die Flüchtenden hatten sie zurücklassen müssen. So war es dann nur ein geringer Teil ihres Volkes, der den großen Schritt wagte.
15.000 Neslin, die mit den natürlichen Ressourcen dieser kahlen Welt versucht hatten, sich so etwas wie eine neue Heimat zu erschaffen. Sie bauten sich Häuser, Wohnblocks in der typischen Architektur ihrer Rasse, denn zumindest das sollte sie an bessere Zeiten erinnern. Sie bauten schnell, denn schon bald fühlten sie, dass ihre Fähigkeiten nachließen und schließlich verschwanden. Von nun an mussten sie sich alleine auf ihre Körperkräfte verlassen, die jedoch in immer noch großem Maße vorhanden waren.
Kylion sah sich weiter um. 15.000… doch hier, auf dem Hochplateau, reihte sich Grab an Grab. Er hatte sie nie gezählt, doch es mussten etwa 5.000 sein.
5.000 Tote in 300 Jahren, das schien extrem wenig zu sein. Sie hatten Tote durch Unfälle zu beklagen, viele waren durch die Raserei anderer Neslin ums Leben gekommen - die meisten waren gegangen, weil es für sie einfach an der Zeit gewesen war. Die Todesquote schien tatsächlich verschwindend gering für diesen langen Zeitraum.
Doch das war ein großer Irrtum, denn in all diesen 300 Jahren war kein einziges lebensfähiges Kind geboren worden. Die Neslin starben aus, das war nur noch eine Frage der Zeit. Als sie diese Tatsache endlich realisiert hatten, dachten die meisten von ihnen an Flucht, denn die Unfruchtbarkeit der Frauen musste mit dieser Welt zusammenhängen. Da war es jedoch bereits viel zu spät. Ihre Kräfte und Fähigkeiten existierten nicht mehr - es gab keine Flucht, würde nie wieder eine geben!
Kylion blieb vor einer der Grabplatten stehen. Der Name des hier begrabenen Neslin war mit uralten Symbolen umkränzt in den Stein gemeißelt worden - Mator… einer der
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