0918 - Höllen-Engel
gegeben. Sie muß schon immer ein Standbild gewesen sein, vor den Ausbrüchen, meine ich. Dann aber kamen sie, und auch die Göttin löste sich auf. Sie zerfloß, doch ihre Augen blieben, und sie haben Arnold die Botschaft mit auf den Weg gegeben. Er hat sie wieder zusammengebaut, er hat ihre Einzelstücke hierher geschafft und dabei sehr sorgfältig auf die Augen geachtet, damit ihnen nichts passiert. Sie waren der Mittler zwischen ihr und ihm.«
»Das ist Wahnsinn!« keuchte einer.
»Es ist super!« korrigierte Splatter. »Die Augen sind das A und O. Sie enthalten die Botschaft, und sie enthalten auch das immense Wissen der Göttin.«
»Und das Blut? Woher kommt das Blut?«
»Sie wollte es so«, sagte Splatter. »Sie brauchte Blut, um existieren zu können. Auch in alter Zeit hat sie sich das Blut geholt. Schon damals hat es Lebewesen gegeben, und das ist heute ja nicht anders geworden, wie ihr wißt. Blut und Schlamm haben sich miteinander vermischt, und er hat sie daraus geformt.«
»Warum ist sie ein Höllen-Engel?«
Splatter mußte lachen. »Sie ist ein Geschöpf der Hölle gewesen. Vielleicht war sie mal ein Engel, wer kann das sagen? Arnold vielleicht, aber den können wir leider nicht fragen. Jedenfalls war sie für ihn Göttin und Höllen-Engel zugleich. Und er hat immer an ihrer Kraft teilhaben wollen. Das hat sie ihm auch versprochen. Er durfte es. Er war ihr erster Diener, aber er mußte auch etwas tun, um ihr zu beweisen, wie stark er auf ihrer Seite stand.«
»Ist er deshalb gefahren?«
»Ja, es war die absolute Mutprobe ihr gegenüber. Und wir werden ähnliche Dinge tun. Wir sind heute zusammengekommen, um den Geist der Urzeit in uns aufzunehmen. Ihre Augen sind es, die uns die Botschaft schicken, und wir werden, wenn wir diese Wohnung verlassen haben, ganz andere Menschen sein. Wir werden auch unsere Verbundenheit mit ihr dokumentieren, denn jeder von uns wird ein kleines Abbild von ihr bekommen, so wie Arnold schon eines besaß. In diesen Figuren wird auch die Kraft der Augen vorhanden sein, und damit ist das Band zwischen ihr und uns geschlossen. Deshalb sind wir hier.«
»Aber nicht allein«, sagte jemand.
Splatter lachte. »Du meinst den Bullen?« Er lachte wieder. »Um ihn kümmern wir uns vorher.«
»Willst du ihn plattmachen, Splatter?«
Der Angesprochene lachte kieksend. »Ich? Nein. Wir überlassen ihn der Göttin. Unser Freund Arnold ist gestorben, und auch der Bulle wird sterben. Wir nehmen ihn einfach als Opfer für die Göttin und werden sie so beruhigen können.«
Die letzten Worte waren ein Zeichen gewesen, denn plötzlich ließ der Druck auf Dans Rücken nach.
Er fühlte sich trotzdem nicht wohler, zudem mußte er das Gehörte erst mal verkraften.
Zurecht kam er damit nicht, denn es waren zu viele Dinge auf ihn eingeströmt, von denen er nie zuvor gehört hatte. Das alles war eine fremde Welt für ihn gewesen und blieb es noch. Er hatte sich nie mit der Vergangenheit beschäftigt und schon gar nicht mit einer, die so weit zurücklag, daß man darüber kaum nachdenken konnte. Sie war für viele Menschen im Dunkel der Vorgeschichte verschwunden, und zu ihnen zählte sich auch Dan Walcott.
Und jetzt sollte er geopfert werden.
Das war nicht zu fassen und nicht zu glauben, obwohl er es mit den eigenen Ohren gehört hatte.
Irgend etwas war falsch gelaufen und paßte nicht mehr in sein Weltbild hinein.
Er träumte es leider nicht. Was er hier durchmachte, war die reine Realität.
Hände griffen zu und schoben sich in seine Achselhöhlen hinein. Sie zerrten ihn in die Höhe, der Schwung ließ ihn für einen Moment schwindlig werden, und dann blieb Dan zwischen den beiden Kerlen mit weichen Zitterknien stehen.
»Schau mich an!«
An der Stimme hatte er erkannt, daß er von Splatter angesprochen worden war. Mühsam drehte Dan den Kopf. In seinen Eingeweiden wühlte noch immer der Schmerz. Er stand kurz davor, sich zu übergeben, aber er kam dem Befehl nach.
Sie schauten sich in die Gesichter, und beide waren nur eine Handbreite voneinander entfernt.
Zum erstenmal sah Dan Walcott den anderen deutlich. Sein Gesicht malte sich wie eine Zeichnung vor ihm ab, die im schwachen Licht der einzigen Lampe schwebte.
Ein verlebtes Gesicht. Ein Gesicht mit Falten, großen Narben. In die fielen einige Haarsträhnen. Der Mund war verzogen und erinnerte an rissiges Gummi, das sich nur mit größter Mühe auf der Haut hielt.
Splatter stank nach Schweiß und Alkohol, aber er war nicht
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