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0919 - Bücher des Grauens

0919 - Bücher des Grauens

Titel: 0919 - Bücher des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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sich von links nach rechts, als wolle sie jedem der Anwesenden direkt ins Gesicht blicken, wenngleich es ihre breite Kapuze unmöglich machte, ihr eigenes Gesicht zu sehen.
    Langsam hob er die Hand. »Wer schickt Euch? Fust oder Schöffer?« Irgendwo hinter ihm kicherte jemand leise, doch Gensfleisch ignorierte ihn. »So oder so könnt Ihr gleich wieder gehen. Ich verkehre nicht länger mit diesen beiden Herren, erst recht nicht nach Feierabend.«
    »Ihr missversteht mich, Herr Gensfleisch«, entgegnete die Gestalt, und ihre Stimme klang, als lächele sie dabei. »Ich bin aus freien Stücken hier, um Euch ein geschäftliches Angebot zu unterbreiten.«
    Johannes nahm einen weiteren tiefen Zug aus seinem Krug, dann deutete er dem Fremden, an seinem Tisch Platz zu nehmen. Sobald der Verhüllte saß, hakte er nach. »Und was ist so dringend, dass es nicht bis morgen früh warten kann?«, fragte er bitter, und der Wein machte seine Stimme so schwer, wie seine Laune schlecht war. »So unwichtig, dass es nicht auch von Fust und Schöffer gemacht werden könnte? Ihr wisst sicherlich, dass die beiden zurzeit deutlich erfolgreicher sind als ich. Warum also kommt Ihr mit Eurem Anliegen zu mir, wenn nicht, weil sie Euch schon abgewiesen haben?«
    Die Kapuze deutete ein Nicken an. »Abermals liegt Ihr falsch. Ich war noch gar nicht bei Fust und Schöffer. Oder bei irgendeinem anderen Drucker. Ich will Euch.«
    Gensfleisch stutzte. »Und was sollte wohl der Grund dafür sein? Ich warne Euch: Spott bekomme ich schon mehr als genug zu spüren, und meine Geduld ist begrenzt!«
    »Mir kam zu Ohren, dass Ihr eines Mäzens verlustig geworden seid, Meister Gensfleisch«, sagte der Fremde langsam. »Nun, ich bin hier, um diese Lücke zu füllen. Ich bin hier, um Euch die finanziellen Mittel für einen kompletten Neuanfang zu geben.«
    Erst als sich Johannes ratlos umblickte, fiel ihm auf, dass die anderen Gäste das Lokal verlassen hatten. Beinahe, als wären sie instinktiv vor der seltsamen Präsenz des Kapuzenträgers geflohen.
    ***
    So ungefähr musste das Ende der Welt aussehen, dachte Zamorra und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Ungläubig blickte er sich um und suchte in den unübersichtlichen Straßenschluchten nach einem Anzeichen von menschlichem Leben, einem Hinweis darauf, dass er in dieser bizarr anmutenden Umgebung nicht das einzige atmende, denkende Wesen war. Doch der blieb aus. Alles, was er sah, war die gleiche unwirklich scheinende Kulisse, durch die er bereits seit etwa einer halben Stunde streifte.
    Der Fischmann hatte Zamorra einen Bärendienst erwiesen, als er den Meister des Übersinnlichen dieses Mal mit durch die Zeit genommen hatte - denn anstatt, wie von Zamorra erhofft, wieder im Château Montagne des Jahres 2009 zu landen, in dem dieses irrsinnige Abenteuer begonnen hatte, hatte das Wesen ihn hierher verschleppt und ihn einfach zurückgelassen. Es war kurz aus der kontextlosen Schwärze aufgetaucht, als wolle es den unliebsamen menschlichen Trittbrettfahrer abschütteln, und hatte sich dann - ohne Zamorra - erneut auf den Weg gemacht und sich abermals aufgelöst.
    Und seitdem war der Professor allein. Mit sich und dieser Endzeitwelt, in der er sich wiedergefunden hatte. Es handelte sich um das Zentrum einer modernen Innenstadt, soviel konnte Zamorra problemlos ausmachen. Die Gebäude und Straßen, Schilder und Bushaltestellen - all das ließ auf eine deutsche Kleinstadt schließen. Allerdings, und genau da fingen die Probleme an, auf eine, die scheinbar seit mehreren Jahrzehnten kein Mensch mehr betreten hatte. Überall wucherte die Natur, hatte die Flora längst die Relikte der menschlichen städtischen Infrastruktur überdeckt. Aus dem Fenster einer einstigen Eisdiele blühten Zamorra die Zweige eines stämmigen Baumes entgegen, vom Dach eines mehrstöckigen und mit Efeu und Farnen nahezu gänzlich zugewachsenen Wohnhauses reichten dicke Lianen bis auf den von dichtem Gras und anderem Gewächs bedeckten Erdboden - und dieser Anblick wiederholte sich in ähnlicher Ausführung, wohin der Professor sich auch wandte. Leere Autos - die Scheiben eingeschlagen, die Dächer und Reifen mit dichtem Moos überzogen - lagen an dem, was einst ein Straßenrand gewesen sein mochte, wie die Gerippe auf einem Elefantenfriedhof.
    Als hätte irgendein verrückter Wissenschaftler einen Urwald mit einer Kleinstadt gekreuzt , dachte er verwundert und ein wenig fasziniert, und im gleichen Arbeitsschritt

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