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092 - Der Herr des Schreckens

092 - Der Herr des Schreckens

Titel: 092 - Der Herr des Schreckens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Earl Warren
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Apparatur des Sauerstoffzeltes oder die Decke des Ambulanzwagens wiesen eine Spur des Feuers auf. Keine Verfärbung, nichts.
    Professor Dulac begann irr und schallend zu lachen. Das Gelächter schüttelte ihn, bis der Notarzt ihm zwei Ohrfeigen gab. Da erst löste sich der hysterische Anfall des Professors. Tränen stürzten aus seinen Augen. Er setzte sich auf die Treppenstufen vor dem Krankenhauseingang nieder und starrte auf das Skelett, das einmal seine Frau gewesen war.
    Ein Arzt und eine Krankenschwester führten Professor Dulac weg.
    Wenige Kilometer entfernt in einer alten Villa in Charenton zerrieb Taschmosch in einem Aschenbecher die letzten Aschenreste der Fotografie von Madame Dulac.
     

     

Professor Dulac hatte einen Schock erlitten und mußte im Krankenhaus bleiben. Nicole Dulac war zu Hause, weinend und völlig aufgelöst. Als Robert Arvois sie kurz nach 8.30 Uhr anrief, konnte er aus ihrem Geschluchze und Gestammel nur entnehmen, daß Madame Dulac tot war. Statt sich zur Vorlesung in die Sorbonne zu begeben, fuhr Robert Arvois in die Rue de la Durance zu Nicole.
    Er redete dem schluchzenden Mädchen zu und versuchte, sie zu trösten. Doch was konnten Worte gegen Nicoles tiefen, übermächtigen Kummer ausrichten?
    „Sie ist tot“, schluchzte Nicole. „Meine Mutter ist tot, von einer unheimlichen, ungeheuerlichen Macht ermordet. Vater hätte es nie zulassen dürfen. Nie, nie, nie!“
    „Du bist ungerecht, Nicole. Was hätte er denn tun sollen oder können? Er war machtlos.“
    „Er hätte nach Tibet gehen sollen, hätte sich mit diesem Taschmosch einigen sollen, oder was weiß ich was. Aber jetzt ist es zu spät, jetzt ist Mutter tot, und niemand kann sie mehr lebendig machen.“
    Robert schwieg. Was hätte er auch sagen sollen? Da Inspektor d’Estienne einen Anschlag auf Nicole Dulac befürchtete, waren immer noch zwei Polizisten in der Acht-Zimmer-Wohnung des Professors.
    Robert blieb an diesem Tag bei Nicole. Er begriff, daß er nicht viel tun konnte, um ihren Schmerz zu lindern. Sie mußte sich ausweinen. Aber Robert Arvois war durch seine bloße Anwesenheit schon ein Halt und eine Stütze für sie.
    Nicole hatte sich hingelegt. Die Rollläden an den beiden Fenstern ihres Zimmers waren heruntergelassen. Ein Dämmerlicht herrschte. Nicole sah zur Decke, ein dicker Kloß saß in ihrer Kehle.
    Sie konnte die Gedanken nicht von ihrer Mutter lösen, die einen so schrecklichen Tod gefunden hatte.
     

     
    Irgendwann schlief Nicole ein, von Schrecken, Leid und Kummer zermürbt und erschöpft. Ihr sollte kein friedlicher, erholsamer Schlummer beschieden sein, der ihren aufgewühlten Nerven die dringend benötigte Ruhe brachte.
    Mit dem Schlaf kam der Traum, ein schrecklicher, finsterer Alptraum. Er versetzte den Geist des Mädchens in ein Lamakloster im fernen Tibet. Das Kloster befand sich in einer gigantischen Berghöhle in ewiger Finsternis, und sein Beherrscher war Chandar-Chan, der Herr des Schreckens.
    Nicole wußte das alles im Traum. Sie hörte ein dämonisches Kreischen und Pfeifen in der Finsternis, die schwach von Fackeln und Öllampen erhellt wurde. Musikinstrumente machten einen disharmonischen Höllenlärm.
    In einem riesigen Tempel mit grausigen Skulpturen und Gemälden, mit Dämonenfratzen an den Wänden, den Statuen furchtbarer Geschöpfe und einem wuchtigen Monolithenaltar, hatten sich die Schwarzen Lamas versammelt. Nicole sah Chandar-Chan, den Obersten Lama, auf seinem Thron sitzen, nackt, fett und böse wie eine häßliche Kröte.
    Nicole kam sich keineswegs wie ein ungefährdeter Beobachter und Lauscher vor, sondern wie eine Gefangene, die herbeizitiert worden war, um ein schreckliches Schauspiel mitzuerleben. Namenloses Grauen und Angst erfüllten Nicole.
    Von einer Sekunde zur andern wußte sie, daß der Traum ihr keine Phantasiegebilde vorgaukelte, sondern daß er sie auf mystische Weise etwas miterleben ließ, was viele tausend Kilometer entfernt tatsächlich geschah.
    Das Mädchen hörte die furchtbare Musik und roch den Dunst von Weihrauch und Moder, der den Tempel erfüllte.
    Die Schwarzen Lamas begannen einen monotonen Singsang, der Nicoles Grauen noch verstärkte. Es war Nicole, als bohrten sich die bösen Knopfaugen des Chandar-Chan in die ihren, und als raune eine Stimme ihr zu: ‚Jetzt gib acht. Jetzt wirst du das Schicksal miterleben, das auch dir bevorsteht, wenn dein Vater nicht endlich seinen Widerstand aufgibt und zu mir kommt, um mir seine

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