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0920 - Welt der Stille

0920 - Welt der Stille

Titel: 0920 - Welt der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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war, um die Zukunft der Menschheit zu retten.
    Nicole warf einen sehnsüchtigen Blick auf den Durchgang zum Dom, den sie durch die halbtransparente, hell schimmernde Kuppel aus Energie erkennen konnte - so nah, und doch so fern. Wo immer du auch bist, Chef , dachte sie besorgt, hoffe ich, dass du besser voran kommst als ich.
    ***
    Man nannte sie die Schwarze Kunst, und mit einem Mal verstand Professor Zamorra auch, warum. Weil sie die Macht hatte, das absolut Böse zu bewirken!
    Der Meister des Übersinnlichen saß auf einem Stuhl in der Werkstatt eines der berühmtesten Menschen der Geschichte: Johannes Gensfleisch alias Gutenberg, des Erfinders des Buchdrucks mit beweglichen Lettern. Gutenbergs Wirken im Mainz der 1450er Jahre hatte nachhaltig dazu beigetragen, dass weite Teile der Weltbevölkerung lesen lernten, sich bildeten. Der Buchdruck hatte einen schriftlichen Diskurs möglich gemacht, an dem plötzlich nicht mehr allein die klerikalen und wohlhabenderen Schichten teilnehmen konnten, sondern auch der sprichwörtliche kleine Mann. Der nachhaltige Erfolg der Aufklärung, die Verbreitung der christlichen Lehren, ja selbst das Ende des Mittelalters wurden von unzähligen Historikern aus Zamorras Gegenwart zwar nicht ausschließlich, aber doch direkt auf das zurückgeführt, was der Professor im Augenblick selbst zu sehen bekam. Auf den Meister Gensfleisch bei der Arbeit.
    Gutenberg - ein Mann von eher muskulösem Wuchs, mit grauem Haar und einem sorgsam gepflegten, breiten Vollbart - war ganz in seinem Element. Mit geübten Handgriffen hantierte er an der modifizierten Spindelpresse herum, die er für sein »Werck der Bücher«, verwendete. Ganz so, wie es die Geschichte ihm zuschrieb. Und doch gab es einen entscheidenden Unterschied zwischen dem, was Zamorra im Schulunterricht gelernt hatte und dem, dessen unfreiwilliger Zeuge er nun wurde.
    Das, was Gutenberg da druckte, waren keine Bibeln. Es waren Bücher des Grauens - Texte voller blasphemischer und das Leben selbst verhöhnender Inhalte, verfasst in einer Sprache, die für menschliche Zungen, Ohren und Hirne nie bestimmt gewesen war. Und Zamorra wusste, was geschah, wenn sie diese Werkstatt verließen. Er hatte es selbst gesehen.
    Die Schriften würden die Hirne derer vergiften, die sie lasen. Sie würden sich - auf eine absurd anmutende und der Logik trotzig ins Gesicht lachende Art und Weise, die dadurch möglich geworden war, dass die Zeit nicht länger chronologisch verlief - der Verbreitung bedienen, die Gutenbergs eigentliche Bücher genossen hatten. Und sie würden die Geschichte der Neuzeit umschreiben. Wer diesen Texten seinen Geist öffnete, wurde zum Boten einer Apokalypse. Wesen aus einer fremden Existenzebene würde durch sie der Weg in diese Welt ermöglicht: tentakelbewehrten Titanen, die sich die Realität selbst Untertan zu machen suchten. In 2009, aus dem er gekommen war, sowie im Mainz einer fernen und nahezu menschenlosen Zukunft hatte Zamorra am eigenen Leib erfahren, welche Auswirkungen der Griff in die Vergangenheit haben würde, den zu verhindern er nach 1455 gereist war.
    Und nun - seiner Zeitringe beraubt, von Unbekannten brutal zusammengeschlagen und von dem unter der mentalen Einflussnahme eines dämonischen Wesens stehenden Gutenberg auf einen Stuhl gefesselt - blieb Professor Zamorra nichts weiter, als zu beobachten, was er nicht hatte aufhalten können: den Anfang vom Ende.
    »Hört nicht auf ihn, Gensfleisch!«, appellierte er erneut an die Vernunft seines Gegenübers und zerrte abermals an seinen Fesseln. »Was immer euch dieser… neue Finanzier versprochen hat, ist es nicht wert, dafür die Menschheit zu opfern! Ihr wisst ja nicht, was Ihr da tut.«
    Der »Finanzier«, lachte leise und in dem Schatten, welcher seine breite Kapuze über das Gesicht warf, von dem der Meister des Übersinnlichen wusste, dass er es nicht hatte, glühten zwei rote Augen. »Zamorra, Zamorra«, sagte das Wesen namens Dandrono. »Sie sind wirklich amüsant, hat Ihnen das schon mal jemand gesagt? Selbst im Angesicht Ihrer Niederlage weigern sie sich noch, diese anzuerkennen und plappern Ihren Sermon von Rechtschaffenheit und Ehre immer weiter. Das hat schon etwas Stoisches, finden Sie nicht auch? Na los, appellieren Sie schon an das Gute im Menschen. Wir wissen doch beide, dass es Ihnen auf der Zunge liegt.«
    Widerwillig blickte Zamorra den Dunklen an, der in der Ecke der Druckerwerkstatt stand. Sie waren sich schon einmal begegnet - geografisch

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