0923 - Die Henkerin
weiter. »Eine Täterin, nehme ich an, nicht wahr?«
»Das stimmt.«
»Haben Sie die Frau auch erkannt?«
»Ich kenne sie.«
»Wer ist es?«
Muriel gab keine Antwort und fing wieder an zu weinen. Sie suchte an mir Halt. Ich konnte sie in allem gut verstehen, es mußte unbeschreiblich für sie gewesen sein, aber auch ich wollte die letzte Gewißheit haben und fragte deshalb: »War es Carlotta?«
Für einen Moment stockte ihr Weinen. Ich rechnete schon mit einer Antwort, aber sie drang nicht über Muriels Lippen. Deshalb fragte ich noch einmal nach.
Ihr Weinen stockte. Dann nickte sie.
»Also ist es Carlotta gewesen«, hörte ich den Bretonen flüstern.
»Ja, sie war es«, sagte Muriel.
»Können Sie mehr erzählen?«
»Es ist so schwer«, gab sie flüsternd zu.
»Versuchen Sie es.«
Sie überlegte, schluckte und stöhnte. »Ich weiß es alles nicht. Ich - es war so schlimm. Urplötzlich kam es über mich. Nein, nicht über mich. Die anderen - sie hat es erwischt.«
»Wie sah Carlotta aus?«
»So wie auf dem Foto.«
»Nur spärlich bekleidet.«
»Ja.«
»Tötete sie mit der Waffe?«
»Sie hatte sie bei sich«, flüsterte Muriel. »Ich habe mich dann nur versteckt, aber ich hörte das Schreien und Wimmern und die anderen schrecklichen Geräusche.«
Ich spürte, wie sie zusammensackte. Sie wäre gefallen, aber ich fing sie auf. Dann wandte ich mich an meinen Begleiter. »Bring sie bitte zurück in das Büro.«
»Und dann?«
»Ruf mein Büro an. Ich gebe dir die Nummer. Sag Sir James Powell Bescheid. Er soll die Mordkommission vorbeischicken.«
»Was tust du?«
»Ich schaue mich noch um.«
»Hier?«
»Sicher.«
»Was glaubst du denn, finden zu können?« fragte er.
»Ich weiß es noch nicht.«
Godwin schaute mich starr an. »Sie?« hauchte er dann.
»Möglich.«
»Wie kommst du darauf?«
»Ganz einfach. Der Portier unten hat sie wohl nicht gesehen. Sie wäre ihm bestimmt aufgefallen.«
»Das ist richtig. Vielleicht hat er uns auch bewußt nichts gesagt. Ich traue ihm nicht.«
»Warte ab.«
Wir brachten die Zeugin gemeinsam zurück in das Büro, und ich tätigte meinen Anruf. Allerdings hielten wir uns nicht im Büro ihres Chefs auf, sondern in einem Raum, wo kein Toter lag, es aber ein Telefon gab. Ich dachte verzweifelt darüber nach, warum diese Carlotta so etwas getan hatte. Sie ging hin, tötete und zog sich wieder zurück. Das wollte nicht in meinen Kopf.
Sir James meldete sich mit einer brummigen Stimme, als hätte ich ihn soeben geweckt.
Wahrscheinlich ärgerte auch er sich über die Hitze.
»Sie, John? Sie haben doch Urlaub.«
»Der ist vorbei, Sir.«
Er hatte am Tonfall meiner Stimme gehört, daß einiges nicht in Ordnung war. Als ich mit meinem Bericht herausrückte, blieb er stumm. Wenig später war er wieder voll da. »Ich werde alles in die Wege leiten, John. Sie bleiben noch am Tatort?«
»Natürlich.«
»Gut, dann - nun ja…« Er legte auf, denn auch ihm hatten die Taten die Sprache verschlagen.
»Ihr bleibt hier!« schärfte ich den beiden noch einmal ein. »Ich schaue mich inzwischen um.«
Sie sagten nichts, aber in ihren Augen stand eine große Besorgnis. Godwin wies mich noch darauf hin, um Himmels willen achtzugeben, denn Carlotta durfte nicht unterschätzt werden.
»Das weiß ich inzwischen, Godwin…« Nach dieser Antwort verließ ich das Büro.
***
Ich hatte die Glastür aufgestoßen und war in den anderen Teil des Flurs getreten. Industrieplakate klebten dort. Mit imposanten Gebäuden im halbfertigen oder fertigen Zustand. Ich ging davon aus, daß sich die Firma mit Architektur beschäftigt hatte.
Ich schaute in die einzelnen Büros.
Sie waren leer.
Keine Schreibtische, keine Zeichenbretter, keine Computer, nur die nackten Wände, die relativ fleckig waren. Ich sah genau, wo schon einmal Bilder oder Plakate gehangen hatten. Da zeichneten sich die Vierecke deutlich ab.
Die Sonne schien durch die breiten Fenster und hatte die Büros aufgeheizt.
Es war nur ein Versuch gewesen, irgendwelche Spuren der Henkerin zu finden, aber der Versuch war mißlungen. Ich sah sie nicht. Sie war geflohen. Dennoch durchsuchte ich jeden Raum, bis ich den letzten in der Reihe erreichte.
Als ich diese Tür aufstieß, fiel mir sofort etwas auf. Dunkle Flecken auf dem hellen Boden.
Ich blieb stehen, schaute mir die Stellen genauer an, die im ersten Augenblick schwarz aussahen, es aber nicht waren, denn sie schimmerten in einem blutigen Rot.
Es war Blut!
Ich hielt den
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