0923 - Die Henkerin
Atem an. Sie war also hier gewesen. Wieder spürte ich das Kribbeln auf meinem Rücken, als ich mich aufrichtete. Mein Alarmsinn meldete sich. Ich spürte, daß etwas nicht stimmte.
Sie war noch in der Nähe.
Aber wo?
Ein relativ geräumiger und leerer Raum lag vor mir. Ich stand dicht hinter der offenen Tür, umgeben von einer nahezu wattigen und dichten Stille.
Nichts bewegte sich. Auch nicht der leiseste Windhauch wehte über mein Gesicht hinweg.
Trotzdem stellten sich die Härchen hoch. Es war genau die Sekunde vor dem Zeitpunkt X. Ich wußte, daß etwas passieren würde, aber ich konnte nicht sagen, wann es geschah und wo.
Meine Hand suchte bereits nach der Beretta, als ich hinter mir das leise Geräusch hörte. Nur ein Schleifen, mehr nicht, aber es warnte mich.
Ich drehte mich nicht um, sondern hechtete in das leere Zimmer hinein.
Das war mein Glück, denn über mir hörte ich ein bekanntes Pfeifen. Es entsteht immer dann, wenn jemand mit einer Hiebwaffe sein Ziel nicht trifft und Löcher in die Luft schlägt.
Ich landete auf dem Boden und drehte mich sofort wieder um. Noch im Liegen sah ich Carlotta, und sie war bereit, einen neuen Mord zu begehen…
***
Ich kam nicht mehr dazu, die Beretta zu ziehen, denn Carlotta befand sich schon in der Bewegung.
Diesmal griff sie nicht mit ihrer Waffe an, sie hatte es geschafft, auf mich zuzuspringen, und sie wollte mich mit beiden Füßen zuerst treffen.
Ich rollte mich herum und war zum Glück schneller als sie. Beide Füße sprangen ins Leere, der eigene Schwung drückte sie nach vorn, und ich hörte ihren bösen Fluch.
Ich rollte weiter, wollte wieder auf die Beine kommen, als sie mich mit einem Tritt in den Rücken erwischte. Ein höllischer Schmerz durchzuckte mich.
Ich hörte sie fluchen, während ich über den Boden kroch, um aus ihrer Reichweite zu gelangen.
Was sich hier langsam liest, lief sehr schnell ab. Ich drehte mich, kam auf die Knie, wollte wieder die Beretta ziehen, aber dazu war es zu spät. Carlotta, die ebenso aussah wie auf dem Foto, war bereits in meiner Nähe. So nah, daß sie zuschlagen konnte.
Sie hatte schon ausgeholt, sich dabei nach vorn gebeugt und wuchtete die verdammte Machete auf meinen Kopf zu.
Ausweichen konnte ich ihr in dieser Lage nicht mehr!
Mein rechter Arm schnellte hoch. Ich hoffte, daß ich schnell genug war, und mit der Handkante erwischte ich etwas schräg angesetzt ihren rechten Schlagarm.
Die Klinge wischte an meinem Kopf vorbei. Sie schlug in den Teppich, ich schnellte in die Höhe, hörte sie wieder fluchen, und einen Moment später rammte ich meine Faust gegen ihre Schulter.
Zwei Dinge geschahen gleichzeitig.
Von draußen her hörte ich das Jaulen der Sirenen, während Carlotta vorangetrieben von der Wucht des Schlags, durch den Raum taumelte und dabei auf ein Fenster zulief. Die verdammte Machete hatte sie nicht losgelassen, aber sie stoppte sie auch nicht.
Ich schnappte meine Beretta in dem Augenblick, als sie das Fenster erreicht hatte.
Für sie war es wichtig gewesen, denn sie gab sich einen Ruck, und zusammen mit der zerplatzenden und zersplitternden Scheibe fiel sie in die Tiefe.
Ich hatte trotzdem geschossen und auch getroffen.
Nur nicht ihren Körper, denn Carlotta stand tatsächlich mit dem Teufel im Bund. Das geweihte Silbergeschoß hätte sie bestimmt erwischt, doch der Zufall wollte es, daß die Kugel gegen die Breitseite der Waffe schlug, von dort abprallte und keinen Schaden bei Carlotta anrichtete. Zu einem zweiten Schuß kam ich nicht mehr, denn da war sie bereits in die Tiefe gefallen.
Zusammen mit dem Glas, und ich hörte sogar den Aufprall, noch bevor ich das Fenster erreichte.
Die Sirenen wimmerten, die Wagen kamen näher. Wahrscheinlich hatten die Kollegen Carlotta bereits gesehen, und auch ich stürmte auf das Fenster zu und schaute nach unten.
Sie war nicht mehr da.
Einen Fall aus dem zweiten Stock kann man überleben, aber nicht unverletzt. Da gab es Bein- oder Armbrüche. Bei ihr schien sich nichts getan zu haben, denn sie mußte den Aufprall ausgenutzt haben und war davongelaufen.
Wohin?
Ich schaute an der Hauswand entlang, dabei hatte ich mich weit vorgebeugt.
Soeben sah ich sie noch an der rechten Seite um die Hausecke huschen.
Dann war sie endgültig verschwunden, und ich hatte leider das Nachsehen. Drei Fahrzeuge rollten auf das Haus zu, wurden abgebremst, und die Kollegen stiegen aus.
Ich hätte heulen können vor Wut. Weshalb Carlotta noch nicht geflohen
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