0923 - Die Henkerin
gegangen, aber es lief nicht so ab, wie man es sich vorgestellt hat. Kaum hatten sie die Kirche betreten, da fing Carlotta an zu schreien und brach hinter der Schwelle zusammen. Sie wollte auch nicht mehr aufstehen und in die Kirche hineingehen, deshalb wurde die Trauung dort nicht vollzogen. Alfonso wollte sie immer einmal nachholen, davon hat er des öfteren gesprochen, aber dazu ist es nie gekommen. So wie sich seine Frau benahm, konnte er gar nicht kirchlich heiraten.«
»Ich denke, daß sie sich dem Bösen zugewandt hat.«
»Dem Teufel also?«
»Kann sein.«
»Dann ist sie doch eine Hexe.«
Ich winkte ab. »Das muß nicht unbedingt sein. Nicht jede, die sich auf die andere Seite stellt, muß automatisch eine Hexe sein. Da gibt es schon noch Unterschiede.«
»Aber Carlotta ist böse. Sie hat den Teufel im Leib.«
»Das spreche ich nicht ab.«
»Und warum tötet sie?«
»Um Asmodis einen Gefallen zu tun«, erklärte ich. »Das mal im Groben, denn er hat doch dafür gesorgt, daß sie lebt oder daß sie überlebt hat. Da muß er seine Hände mit im Spiel gehabt haben. Etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen. Ich wundere mich auch, daß sie so perfekt aussieht. Irgend etwas ist da nicht normal.«
»Warum nicht?«
»Ich weiß es nicht.«
»Das spürst du - oder?«
»Ja, genau.« Ich starrte auf das Bild der Mörderin, das noch an der Wand hing. In diesem Motiv paarten sich Sex und Gewalt. Die Frau hielt eine Waffe in der Hand. Ein böses Bild, vor dem ich mich ekelte.
Aber es gab genügend Typen, die so etwas kauften und darauf abfuhren. Was steckte wirklich hinter dieser Maske? Welche Gefahr lauerte in den kalten, dunklen Augen, die eigentlich denen einer Toten gehören mußten? Aber sie lebte, sie existierte, der Teufel hatte sie all die Jahrhunderte am Leben erhalten.
So sah es zumindest aus.
Ich aber hatte meine Zweifel. Hätte mich jemand nach den Gründen gefragt, ich hätte ihm keine Antwort geben können. Rational gab es eben keine Erklärung.
Eine Tür wurde aufgezogen, und Tanner verließ den Raum. Er hatte den Hut in den Nacken geschoben. Sein Gesicht war gerötet und doch irgendwie blaß. Er stampfte auf uns zu, schüttelte dabei den Kopf, ohne daß sein Hut abfiel, und er sagte mit leiser Stimme: »Scheußlich, John, einfach scheußlich! Wer tut so etwas?«
»Eine Frau!«
Tanner wollte etwas sagen, verschluckte sich aber, starrte uns an und schüttelte den Kopf. »Eine Frau, hast du gesagt? Habe ich dich richtig verstanden?«
»Ja.«
»Dann weißt du verdammt viel.«
»Kann sein. Sie heißt Carlotta, sieht sich als Henkerin und hat einige Hundert Jahre auf dem Buckel.«
Tanner nickte. »Klar, das ist alles normal. Sicher, die tötet, obwohl sie schon lange tot sein müßte. Ist alles ganz einfach.« Scharf schaute er mich an. »Wir kennen uns lange genug, John, du willst doch einen alten Mann nicht verarschen?«
»Bestimmt nicht. Dazu ist der Fall zu ernst.«
Er hob die Hand. »Gut, warte, ich hätte da noch mal eine kleine Frage, auf die du mir sicherlich antworten kannst. Als wir hier ankamen, haben wir Scherben auf dem Boden gesehen. Es waren die Reste einer Fensterscheibe. Könnte es sein, daß du mehr über die Zerstörung dieses Fensters weißt?«
»Das könnte nicht nur sein, das ist sogar so.«
»Jetzt bin ich gespannt.«
»Es ist passiert, als ich die Henkerin jagte. Ich hatte die Chance, Carlotta zu stellen, aber sie war schneller oder besser, und sie ist mir entwischt.«
»Dafür sollte man dich…«
»Ich weiß es selbst, aber ich kann dir etwas anderes sagen. Du kannst sie sogar sehen.«
»Wo?« Er schaute sich um.
Ich deutete auf das Plakat. Zugleich sah ich, wie Muriel in Begleitung eines Arztes in den Lift stieg.
Ich wußte sie in guten Händen und kümmerte mich um Tanner, der ebenfalls auf das Plakat schaute und noch skeptisch war. »Du meinst doch nicht etwa diese Person dort?«
»Doch, die meine ich.«
Er lachte laut, und ich wußte nicht, ob er mich auslachte oder nicht. »Nein, das kannst du mir nicht unter die Weste jubeln, John, das ist doch lächerlich.«
»Warum?«
»Das werde ich dir gleich erzählen, keine Sorge.« Er räusperte sich. »Wie du weißt, habe ich eine große Verwandtschaft, und meine Frau ist so ein Verwandtschaftsmensch. Nun ja, ich hatte in der letzten Woche drei Tage Urlaub und bin zu Hause stark eingespannt worden. Von meiner Schwägerin aus Liverpool waren die Kinder bei uns. Schon fast erwachsen, und deshalb wollten
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